Melitta setzt auf „Kunststoff der Zukunft“

Im Interview spricht Stefan Dierks, Director Sustainability, Zentralbereich Kommunikation und Nachhaltigkeit im Melitta Group Management, über das Konzept „Kunststoff der Zukunft“.  

Herr Dierks, annähernd 13 Jahre haben Sie Tchibo zu einer nachhaltigen Ausrichtung verholfen. Jetzt sind Sie bei Melitta. Was unterscheidet die neue von der alten Aufgabe?

Sowohl Tchibo als auch Melitta sind global agierende Familienunternehmen mit langjähriger Tradition. Beide Unternehmen engagieren sich für Nachhaltigkeit und damit für eine lebenswerte Zukunft. Und sie tun dies nicht ausschließlich zur Sicherung ihrer Geschäftstätigkeit, sondern weil dies Ausdruck ihrer Haltung zur Rolle eines Unternehmen in der Gesellschaft ist. Daher sind meine alte und meine neue Aufgabe in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich: Gemeinsam mit meinem Team einen Beitrag zur Nachhaltigen Entwicklung zu leisten. Allerdings werden die Anforderungen durch die globale Zuspitzung zunehmend höher.

Nachhaltigkeit hat mit Haltung zu tun, sagen Sie. Was meinen Sie damit konkret?

Viele Unternehmen sind mittlerweile zu der betriebswirtschaftlich motivierten Einsicht gekommen, dass Nachhaltigkeit eine notwendige Bedingung zur Sicherung des Geschäftes ist. Meines Erachtens ist es jedoch wesentlich, den Zweck eines Unternehmens nicht ausschließlich in der Erreichung der internen Ziele zu sehen, sondern auch einen positiven Beitrag zur Nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft leisten zu wollen. Nur mit dieser Haltung kann man mutig und erfolgreich die notwendigen Entscheidungen zur Transformation der Geschäftstätigkeit treffen. Für Melitta ist Nachhaltigkeit aus Sicht der Unternehmerfamilie eines der drei Unternehmensziele. Dies ist auch in unseren Werten verankert.

Die Bandbreite der Melitta-Group ist beachtlich. Sie reicht vom Kaffee bis hin zur Haushaltsfolie. Wenn Sie die Bereiche bei Melitta vergleichen, wo sehen Sie einen verstärkten Handlungsdruck für Ihren Arbeitgeber?

Sie haben schon zwei wesentliche Bereiche genannt: Die ohnehin schon vorhandenen Herausforderungen in den Anbauländern wie Klimawandel, Gender- und Jugendfragen sowie Marktstrukturen werden im Geschäftsbereich Kaffee durch die aktuelle Preiskrise verstärkt. Hier beteiligen wir uns momentan intensiv an dem sektorweiten Dialog, wie wir koordiniert diese Themen angehen können. Mit der sehr emotional und nicht immer sachgerecht geführten Kunststoffdebatte beschäftigen wir uns umfassend –  wir werden insbesondere im Bereich Haushaltsfolien die New Plastics Economy mitgestalten und arbeiten an innovativen Lösungen für unsere Kunden.

Sie sind seit vielen Jahren für nachhaltiges Wirtschaften eingetreten. Gab es Momente, die Sie besonders erfüllten? Oder auch Momente, in denen Sie dachten, das geht jetzt nicht weit genug?

Besonders erfüllend waren und sind natürlich die Momente, in denen ein Projekt erfolgreich umgesetzt wurde und wir dauerhaft positive Wirkungen erzielen können. Zum Beispiel, wenn Produkte und ihre Wertschöpfungsketten im Hinblick auf ökologische und soziale Aspekte verbessert werden. Auf der anderen Seite sind viele Veränderungen nur durch gemeinschaftliche, vorwettbewerbliche Maßnahmen zu erreichen. Hier ist es immer wieder schade, wie schwer sich viele Beteiligte damit tun, sich auf solche Kooperationen einzulassen. Im Rahmen des Melitta Kulturwandelprozesses fördern wir aktiv unternehmensumfassende und -übergreifende Kooperationen, gerade auch im Nachhaltigkeitsbereich. Vor diesem Hintergrund werden wir in den nächsten Monaten aktiv auf weitere mögliche Kooperationspartner zugehen. Alle Unternehmen müssen und können zusammen weiter gehen, um schneller und wirksamer zu sein.

Kunststoff ist derzeit sehr abwertend in der öffentlichen Wahrnehmung verankert. Was bedeutet das für die vielen B2C-Produkte, die Melitta im Angebot hat?

Für viele Anwendungen ist Kunststoff die auch ökologisch sinnvollste Lösung. Aber: Wenn das so bleiben soll, müssen wir die Wertschöpfungsketten vollständig ändern. Wir nennen dieses Konzept „Kunststoff der Zukunft“. Zur Erreichung dieses Zielbildes werden wir von fossilen auf erneuerbare und recycelte Rohstoffe umsteigen, die Ressourceneffizienzen in den Ketten weiter steigern, die Produkte recyclingfähig gestalten und wo immer möglich mehrfach nutzbare Lösungen anbieten. Darüber hinaus engagieren wir uns für den Ausbau der Strukturen für stoffliches Recycling und entwickeln für die Regionen, wo es noch keine Sammel- und Recyclingstrukturen gibt, biologisch abbaubare Kunststoffe. Um dieses Zielbild zu stärkten, schließen wir momentan mit der EllenMacArthur Foundation das New Plastics Economy Commitment.

Gibt es alternative Packstoffe, die bereits getestet werden? 

Wir sind momentan dabei, einige unserer Produkte umzustellen, um ihre Marktakzeptanz und die praktische Umsetzbarkeit in den Lieferketten zu testen: Wir bereiten gerade den Launch einer Haushaltsfolie vor, die zu 70 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt wird. In Italien bieten wir über den Unternehmensbereich Cuki Produkte an, die vollständig aus Post-Consumer-Rezyklaten hergestellt sind. Und im September 2019 launchten wir in Kooperation dem Unternehmen Neste eine Frischhaltefolie, die zu 15 Prozent aus recycelten Ressourcen aus dem Lebensmittelkreislauf stammen. Selbstverständlich wollen wir den Anteil der alternativen Rohstoffe in diesen und allen anderen geeigneten Produkten weiter ausbauen. Unser Ziel ist, alle Produkte und Verpackungen wo immer möglich geschlossenen Stoffkreisläufen zuzuführen.

Papier ist nicht per se besser als Kunststoff. Aber Entscheidungen des Handels – man denke an die Rewe-Tüte, das Ersetzen von Kunststoff durch Papier – folgen entgegen besseren Wissens dem Mainstream. Schadet das nicht der Glaubwürdigkeit der Nachhaltigkeitsdiskussion?

Wichtig in dem von Ihnen genannten Zusammenhang ist, dass im Handel Papiertüten nicht 1:1 Plastiktüten ersetzen. Durch eine entsprechende freiwillige Selbstverpflichtung des Handels liegt Deutschland bereits seit 2018 hinsichtlich des Pro-Kopf-Verbrauchs von Plastiktüten unter der Zielmarke der EU Richtlinie für 2025. Grundsätzlich stimme ich Ihnen aber zu, dass die nicht immer sachgemäße Diskussion um Kunststoffe und deren (angebliche) Alternativen der Nachhaltigkeit häufig eher schadet als nützt. Die Wirtschaft sieht sich dann häufig Anforderungen gegenüber, denen sie aus Marktgründen entsprechen muss, die in der Sache jedoch nicht unbedingt zielführend sind.

An welchen Stellen hakt die Umsetzung von nachhaltigen Prozessen aus Ihrer Sicht am meisten? Wo müsste mehr getan werden?

Insgesamt würde ich mir wünschen, dass Politik und Gesellschaft sich eher an Fakten und langfristigen Notwendigkeiten orientieren als an Emotionen und Partikularinteressen. Natürlich genügt es nicht, sich von anderen ein anderes Verhalten zu wünschen: Die Gesellschaft, das sind wir alle. Das heißt, jede und jeder von uns kann und sollte sich für Nachhaltige Entwicklung engagieren. Im eigenen Verhalten und im individuellem Umfeld. Vor diesem Hintergrund haben wir als Unternehmen den Anspruch, auch zu übergeordneten Lösungen beizutragen.

Sie sprechen auf dem Packaging360°-Kongress. Können Sie uns einen ersten Einblick in das geben, was Sie dort sagen werden?

Ich werde insbesondere darauf eingehen, wie Melitta den Weg zum „Kunststoff der Zukunft“ beschreiten will, mit welchen Herausforderungen wir uns dort konfrontiert sehen und wie wir diesen begegnen. Dabei wird es auch darum gehen, dass es aus meiner Sicht erforderlich ist, für bestimmte Ziele übergeordnete Kooperationen einzugehen.

Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, was würden Sie sich in Sachen Nachhaltigkeit direkt vom Handel, der Konsumgüterindustrie und den Verbrauchern wünschen?

Vom Handel würde ich mir wünschen, noch stärker als bisher das Thema Nachhaltigkeit in die Vermarktung aufzunehmen. Hier gibt es schon mehrere positive Beispiele, an denen sich die anderen Handelsunternehmen orientieren könnten. Die Konsumgüterindustrie kann an vielen Stellen noch aktiver Kooperationen initiieren bzw. sich auf diese einlassen. Denn wir brauchen Kooperationen, auch sektorübergreifend, um die erforderlichen Wirkungen zu erzielen. Von den Verbraucherinnen und Verbrauchern schließlich würde ich mir wünschen, dass sie aktiv auf nachhaltige Produkte achten und sich bewusst für diese entscheiden. Nachhaltigkeit ist leider in vielen Segmenten immer noch eine Nische.

Und, wenn Sie gestatten, noch ein Wunsch an die Politik: Hier würde ich mir mehr Fokus auf Wirkung und praktikabel umsetzbare Lösungen wünschen anstatt auf starre Regulierungen, die sehr aufwändig in der Umsetzung sind, aber wenig bewirken.  Insgesamt sehe ich uns als Gesellschaft auf einem guten Weg, wichtig ist jetzt, diesen konsequent und offen für Neues weiterzugehen.

Stefan Dierks  ist einer der Referenten des unabhängigen Verpackungskongresses von PACKAGING360°. Dierks spricht zum Thema "Was Nachhaltigkeit mit Haltung zu tun hat. Wie sich die Melitta Gruppe bei Kunststoffen und Haushaltsfolien neu positioniert." Der Kongress findet am 28. und 29. November 2019 im Hilton in Frankfurt am Main statt. Mehr Informationen zu Programm und Anmeldung finden Sie hier. 

 

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