„Wir fordern ein verbindliches Abfallvermeidungsziel“

Im September 2018 hat die Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen einen „Aktionsplan gegen Plastikmüll“ beschlossen. Bettina Hoffmann, Sprecherin für Umweltpolitik der Bundestagsfraktion, erläutert im Interview, wie sich der Bundesvorstand zu einzelnen Aspekten des Aktionsplans stellt. 

von Wolfgang Borgfeld

Wo können hier Impulse gesetzt werden und welche Folgen hat das für die Branche?

Bettina Hoffmann: Deutschland ist EU-Schlusslicht bei der Vermeidung von Verpackungsmüll. Rund 220 Kilogramm Verpackungsabfall fallen jedes Jahr pro Kopf an. Das ist schlicht zu viel. Wir fordern deshalb ein verbindliches Abfallvermeidungsziel, um das Aufkommen an Verpackungsabfall bis 2030 auf 110 Kilogramm pro Kopf zu halbieren. Das zu erreichen ist kein Hexenwerk. Viele überflüssige Verpackungen lassen sich leicht vermeiden. Mit einer Mehrwegquote von 80 Prozent für Getränke könnten allein in Deutschland jährlich 400.000 Tonnen Plastikmüll vermieden werden. Dadurch tun sich natürlich auch für Hersteller und die Verpackungsindustrie neue Geschäftsfelder auf. Ich kenne einige Start-ups, die innovative Mehrweglösungen anbieten, auch im Versandhandel. Solche Entwicklungen gilt es zu fördern und somit Ressourcenschutz und gute Geschäftsideen zusammenzubringen.

Ist dies überhaupt möglich?

Die Verbraucherzentrale Hamburg hat im vergangenen Jahr einige Verpackungen unter die Lupe genommen. Im Schnitt waren sie zu 59 Prozent mit Luft befüllt. In der schlimmsten Schummelverpackung waren nur 17 Prozent des Verpackungsvolumens mit Inhalt gefüllt. Das ist nicht nur Verbrauchertäuschung, sondern produziert auch völlig unnötige Mengen an Müll. Ich würde es gut finden, wenn die Lebensmittelhersteller von sich aus auf solch groteske Ressourcenverschwendung verzichten würden. Denkbar wären aber auch Vorgaben fürs Verpackungsdesign auf EU-Ebene. Solche einheitlichen Vorschriften hätten den Vorteil, dass sie für Wettbewerbsgleichheit sorgen.

Wo soll hier angesetzt werden?

Die EU-Kommission hat Produkte benannt, die zukünftig verboten werden sollen. Hierzu zählen Einweggeschirr aus Plastik oder Trinkhalme. Markus Söder und Svenja Schulze wollen diese Liste nun noch um Plastiktüten erweitern. Das ist gut so, Verbote allein lösen das Problem aber nicht. Aus Umweltsicht wäre es unsinnig, wenn Wegwerfprodukte aus Plastik einfach durch Wegwerfprodukte aus anderen Materialien ersetzt werden.

Was soll mit der Abgabe geschehen?

Allein für Heißgetränke gehen in Deutschland jedes Jahr 2,8 Milliarden Einwegbecher über die Ladentheke. Das ist schlicht zu viel Müll, der zum Teil auch auf Straßen und öffentlichen Plätzen landet. Eine Abgabe auf Einwegbecher und To-go-Verpackungen macht Mehrweglösungen attraktiver. Die Einnahmen daraus können zum Ausbau bestehender Mehrwegangebote genutzt werden.

Neben gesetzlichen Vorgaben werden hier auch Kooperationspartner für die Umsetzung benötigt. Wo sehen Sie diese?

Das Einwegpfand wurde gegen große Widerstände von Handel und Einwegindustrie eingeführt. Heute ist von diesen Widerständen nichts mehr zu spüren, deshalb bin ich zuversichtlich, dass auch eine Vereinheitlichung des Pfandsystems nicht an ihnen scheitern wird. Denn auch die Verbraucherinnen und Verbraucher haben das Pfandsystem gut angenommen, ärgern sich aber über nicht nachvollziehbare Regelungen. Es wird also Zeit, das Pfandsystem verbraucherfreundlicher zu gestalten. Technisch ist das heute kein Problem mehr. Die beste Lösung bleibt aber ein Mehrwegsystem, das dazu noch auf möglichst einheitliche Flaschentypen setzt und somit regionale Kreisläufe ermöglicht. Das sorgt übrigens auch dafür, dass die Arbeitsplätze in der Region bleiben.

Sie betonen, dass es für eine echte Kreislaufwirtschaft wichtig ist, Materialien hochwertig und ohne Schadstoffe wiederzuverwerten. Wie können hier Forschung und Entwicklung signifikant gestärkt werden?

In Deutschland haben wir in der Tat zu wenig Wissen dazu. Wir schlagen deshalb vor, ein deutsches Recycling-Institut zu gründen. Eine solche Forschungseinrichtung könnte auf Dauer die Grundlagenforschung im Bereich der Kreislaufwirtschaft voranbringen. Auch die bereits bestehende Forschung muss weiter ausgebaut werden. Die letzten Haushaltsverhandlungen haben aber gezeigt, dass wir Grünen im Bundestag die einzige Fraktion sind, die hier Forschung und nachhaltige Innovation fördern will.

Gibt es hier denn Alternativen? Wie können diese gefördert werden?

Stoffe, die das Recycling stören oder gesundheitsschädlich sein können, müssen konsequent ausgeschleust und ersetzt werden. Für Druckfarben gibt es bereits gute Alternativen und auch einige Kunststoffverpackungen kommen ohne schädliche Zusatzstoffe aus. Um noch mehr Alternativen in den Markt zu bekommen, ist weitere Forschung notwendig. Ich wünsche mir von der Bundesregierung hier viel stärkere Impulse.

Aber sind es nicht gerade die Kommunen, die durch die vergangenen Investitionen in Müllverbrennungsanlagen auf Jahre die Kreislaufwirtschaft bremsen? Wie soll die dringend benötigte Infrastruktur geschaffen werden?

Für mich hat diese in der Tat kritische Entwicklung viel mit falschen politischen Rahmenbedingungen zu tun. In den letzten Jahren wurde in Deutschland zwar Abfallpolitik, aber nie Kreislaufwirtschaftspolitik gemacht. Das duale Entsorgungssystem war lange durch dubiose Geschäftsmodelle geprägt, die mindestens an Betrügerei gegrenzt haben. Da wurde viel Vertrauen verspielt. Seit Inkrafttreten des neuen Verpackungsgesetzes und der Einrichtung der Zentralen Stelle haben die Dualen Systeme noch eine Chance, sich neu zu beweisen. Wichtig ist, dass wir für den notwendigen Neustart unserer Entsorgungssysteme auch die Sammlung verbraucherfreundlich neu organisieren und mehr Wertstoffe erfassen. Da sehe ich schon die Kommunen im Vorteil, weil sie näher dran sind an den Bürgerinnen und Bürgern.

Wie kann die Wertigkeit des Werkstoffs gesteigert werden?

Rund die Hälfte der Kunststoffanwendungen sind kurzlebige Wegwerfprodukte und Verpackungen. Das macht ökologisch keinen Sinn und wird dem Werkstoff Kunststoff nicht gerecht. Hier brauchen wir ein Umdenken hin zu langlebigen und wiederverwendbaren Anwendungen. Wir wollen aber auch grundlegende ökonomische Fehlanreize beseitigen. Heute wird Plastik künstlich billig gehalten, obwohl es gravierende Umweltprobleme schafft. Es ist deshalb an der Zeit, die Subvention von Erdöl für die stoffliche Nutzung zu streichen. Für Diesel und Benzin werden ja selbstverständlich auch Steuern gezahlt.

Der Fraktionsbeschluss trägt die Überschrift „Grüner Aktionsplan gegen Plastikmüll“. Kunststoffe sind aktuell im Fokus. Kommen Verpackungen aus Aluminium, Blech, Papier und Pappe so viel besser weg? Was ist Ihre Botschaft an die Verpackungsbranche?

Plastik ist zu Recht im Fokus, denn es landet auf unserer Welt derzeit viel zu oft unkontrolliert in der Umwelt und baut sich von alleine nicht ab. Die riesigen Müllteppiche in den Meeren sprechen eine klare Sprache. Es ist schockierend, wenn sogar im arktischen Schnee Mikroplastik gefunden wird. Aber Sie haben recht: Wenn wir nicht nur auf die Umweltverschmutzung blicken, sondern etwa auch auf die Treibhausgase, die durch Verpackungen entstehen, dann erkennt man leicht: Nicht nur beim Plastik sitzen wir auf zu großen Müllbergen. Die Lösung heißt deshalb nicht, Kunststoff einfach durch andere Materialien zu ersetzen, sondern Abfall konsequent zu vermeiden.

 

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