Von Verpackungssteuer bis erweiterter Pfandpflicht
In einer aktuellen Analyse zum Thema Plastikverpackungen in der Lebensmittelindustrie beleuchtet eine Initiative des Bundesforschungsministeriums die Rolle von Verbrauchern bei der Vermeidung von Plastikmüll. Sie gibt auch Handlungsempfehlungen.
Beim Kauf von Lebensmitteln spielen Verpackungen eine wichtige Rolle. Sie dienen als Informationsquelle, sie schützen das Produkt vor dem Verderb und machen es länger haltbar. In einer Analyse, die von den Autoren auch als Diskussionspapier bezeichnet wird, beleuchten Autoren im Auftrag des Bundesforschungsministeriums die Interaktionen zwischen Verbrauchern und dem Lebensmitteleinzelhandel auf der einen Seite sowie die Wechselwirkung zwischen Entsorgern und Verbrauchern auf der anderen Seite.
Im Spannungsfeld zwischen der Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Kunststoffverpackungen und den daraus resultierenden ökologischen Problemen soll zudem im Zuge des vom Bundesforschungsministerium geförderten Plastikvermeidungsprojekts VerPlaPoS (Plastikvermeidung am Point of Sale) nach Lösungsmöglichkeiten gesucht werden, um unter anderem das Aufkommen an Kunststoffverpackungen für exemplarische Produkte zu reduzieren. Auch wenn der Fokus dieses Projekts auf Verbraucher gerichtet sei, könnten diese nicht isoliert betrachtet werden: So führe beispielsweise der Kunststoff-Verpackungsproduzent sein Verhalten auf die Wünsche der Produkthersteller zurück. Dieser Hersteller wiederum richtet sich nach den Wünschen des Handels, der seinerseits mit den Anliegen der Verbraucher argumentiere. „Händler bewegen sich dabei häufig in einem Spannungsfeld zwischen den Bedürfnissen und Erwartungen der Gesellschaft auf der einen und denen der Konsumenten auf der anderen Seite, die nicht immer übereinstimmen. Erschwert wird dieser wechselseitige Prozess dadurch, dass bei allen beteiligten Institutionen (Hersteller, Handel, Verbraucher, Entsorger) der ökonomische Nutzen oft von übergeordneter Bedeutung ist“, heißt es in der Analyse zum Thema Plastikverpackungen in der Lebensmittelindustrie.
Verbraucher lassen sich in Deutschland in zwei Gruppen unterscheiden: Die eine Gruppe mit rund 25 Prozent legt ihrem Kaufverhalten eine umwelt- und sozialethische Konsumhaltung zu Grunde. Für die andere spielen ethische Aspekte kaum eine Rolle. Die Frische und der Preis sind für die meisten Verbraucher laut einer repräsentativen Befragung wichtige Kriterien beim Kauf von Lebensmitteln. Eine entsprechende Verpackung kann diese Kaufattribute gewährleisten, erklären die Autoren der Analyse. Derzeit sei bei diesen Verpackungen mit Lebensmitteldirektkontakt nur in PET-Flaschen der Einsatz von recyceltem Plastik erlaubt, da die Recyclingverfahren von der EU zugelassen werden müssen. Häufig kommen spezielle Kunststoffverpackungen zum Einsatz, die auf die Anforderungen des zu schützenden Lebensmittels ausgerichtet sind. Diese werden meist aus der Kombination verschiedener Materialien hergestellt (Multilayer-Materialien). Diese sind für die Recyclingunternehmen eine große Herausforderung, da sich die Kunststoffe teilweise nicht in ihre einzelnen Bestandteile zerlegen lassen.
Herausforderungen bei der Entsorgung
In Bezug auf Kunststoffverpackungen ergeben sich bei der Entsorgung zwei zentrale Probleme, die sich wechselseitig beeinflussen: Die Mülltrennung, für die die Verbraucher zuständig sind und die Verwertung der Abfälle, die Entsorger und Recycler vornehmen. Die möglichst sortenreine Mülltrennung ist für effektives Recycling durch Entsorger und Recycler unumgänglich, da die Sortenreinheit für die Recyclingfähigkeit von Kunststoffen und die Regranulat- bzw. Rezyklatqualität „der zentrale Parameter für den Verkauf und die Nutzung als Substitut für Neuware ist“. „Die Herstellung von Rezyklat ist somit nur rentabel, wenn es zu einem ‚vernünftigen‘ Preis verkauft werden kann und ’sinnvolle‘ Produkte daraus hergestellt werden können. Ist dies nicht der Fall, ist aus rein ökonomischer Sicht eine thermische Verwertung der Kunststoffe aus Abfällen der Verbraucher sowie die Produktion von Verpackungen aus neuen Kunststoffen (ohne Rezyklatanteil) meist der sinnvollere Weg“, heißt es in dem Diskussionspapier.
Grundsätzlich lasse sich feststellen, dass die meisten Verbraucher in Deutschland ihren Müll trennen. Ob sie es richtig machen, sei die entscheidende Frage. In den Kommunen gibt es verschiedene Systeme, wie der Abfall entsorgt wird. Jedes dieser Systeme habe Vor- und Nachteile, es ließe sich aber resümieren, dass die Abholsysteme wie Gelbe Tonne aufgrund der größeren Menge des gesammelten Plastiks im Vergleich zum Wertstoffhof ökonomisch und ökologisch vorteilhafter seien. Nach der Abholung werden die verschiedenen Kunststoffarten in entsprechenden Sortieranlagen voneinander getrennt. Der Nachteil dabei: Es könne zu falscher Zuordnung des Kunstsoffmülls (Fehlwürfe) kommen, Schätzungen zufolge komme dies in bis zu 60 Prozent vor.
Kein einheitliches Recycling-Konzept
Die Analyse kommt zum Fazit, dass die Recyclingquote in Deutschland nicht richtig ermittelt werden könne. Die Zahlen schwanken demnach zwischen 5 und 40 Prozent, je nachdem was als Berechnungsgrundlage genommen werde. „In Deutschland gibt es zusammenfassend kein einheitlich gültiges Recycling-Konzept und damit keine einheitlichen Regeln. Dies führt zwangsläufig zu Verwirrungen bei VerbraucherInnen.“ Diese müssten sich für die korrekte Entsorgung „schlau lesen“, um Fehlwürfe zu vermeiden, wird beanstandet.
Ein weiteres Problem bei der Mülltrennung sei die Herausforderung, die verschiedenen Kunststoffe genau zu identifizieren bzw. voneinander zu trennen. Zusätzlich bestehe das Problem, dass ein Großteil der Leichtverpackungen aus einer Kombination verschiedener (Kunststoff-)Materialien (Multilayer-Materialien) bestehen (etwa zwei Drittel bei den sortierten Kunststoffen beim Entsorger), bzw. durch Klebstoffe oder aufgeklebte Etiketten oder durch andere Zusatzstoffe (Additive) verunreinigt werden. Diese Mischkunststoffe in die einzelnen Bestandteile zu zerlegen oder die verschiedenen Kunststoffarten wieder voneinander zu trennen, „ist schwierig oder gar unmöglich – zumindest bei derzeitigem technologischen Stand vieler Sortieranlagen“.
Die Mischkunststoffe werden deswegen aktuell zu 85 Prozent energetisch verwertet. Aufgrund der genannten Schwierigkeiten lässt sich das Entsorgungs- und Recyclingsystem für Kunststoffverpackungen in Frage stellen. „Zu Verunsicherungen der VerbraucherInnen führen auch unterschiedliche Definitionen und ein uneinheitliches Verständnis beispielsweise bei sogenannten ‚Bio-Kunststoffen‘: Biopolymere sind definiert als Kunststoffe, die biobasiert bzw. biologisch abbaubar sind. Sie können also aus fossilen Rohstoffen hergestellt werden und biologisch abbaubar sein, aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden und nicht biologisch abbaubar sein beziehungsweise aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden und biologisch abbaubar sein.“
Handlungsempfehlungen
- Die Möglichkeiten für VerbraucherInnen durch eine Veränderung des Konsumverhaltens Plastik zu reduzieren, stoßen psychologisch und gesellschaftlich an Grenzen.
- Großverpackungen sind zwar insgesamt verpackungstechnisch ökologischer, da im Verhältnis zum verkauften Produkt grundsätzlich weniger Verpackung benötigt wird. Dies kann aber wiederum das Wegwerfen von Lebensmitteln befördern, wenn die Lebensmittel dann nicht in Gänze innerhalb der Haltbarkeit aufgebraucht werden. Der ökologische Aufwand ist für die Herstellung von Lebensmitteln höher als für die Herstellung von Verpackungen. Eine Reduzierung von Lebensmittelverlusten führt deshalb auch bei höherem Verpackungsbedarf tendenziell zu einer Reduktion von Umweltwirkungen.
- Weniger zu konsumieren und das Wegwerfen von Lebensmitteln zu minimieren stellt daher eine Möglichkeit für VerbraucherInnen dar, umweltbewusster zu leben.
- Bei allen Verpackungsalternativen stellt sich die Frage, ob diese ökobilanziell besser sind als herkömmliche Kunststoffe.
- Die Verwendung von Kunststoffverpackungen orientiert sich an der Nachfrage und den Anforderungen für die darin verpackten Lebensmittel, der Wirtschaftlichkeit der verfügbaren Verpackungsmaterialien und -technologien sowie den politischen Rahmenbedingungen. Eine Veränderung hin zu umweltfreundlicheren Verpackungslösungen wird ohne Druck in allen Bereichen nicht erzielt werden können. VerbraucherInnen können einzig an dem Punkt der ‚Nachfrage‘ und ‚Entsorgung‘ ansetzen, stoßen dabei aber an verschiedene Grenzen, deren Überwindung zum Teil sogar eine Überforderung für sie darstellen kann.
- Zuletzt müsste das Entsorgungssystem in Deutschland als Ganzes umgestaltet werden, so dass der Beitrag von VerbraucherInnen auch sinnvoll ist. Hinzu kommt, dass das ‚Kunststoffverpackungsproblem‘ nur ein Baustein unter vielen ökologischen Problemen neben beispielsweise Klimaerwärmung, zusätzlich zu anderen ‚Alltagsproblemen‘ darstellt, mit denen sich VerbraucherInnen auseinandersetzen müssen.
- Um VerbraucherInnen zu entlasten und sie bei der Plastik(müll)vermeidung zu unterstützen, könnten verschiedene Möglichkeiten in Betracht gezogen werden:
Wichtig sind zum einen eine gezielte und niedrigschwellige Aufklärung von VerbraucherInnen sowohl bei der Kaufentscheidung als auch bei der Entsorgung. Ein sogenannter ‚Plastik-Index‘, der im Zuge eines Forschungsprojektes des Bundesforschungsministeriums entwickelt wird, könnte dabei eine Lösung sein, um eine einfachere Kaufentscheidung zu ermöglichen. Der ‚Plastik-Index‘ kann dabei auch direkt am Point of Sale kommuniziert werden: Dabei werden die Verpackungsmenge, die Rezyklierfähigkeit sowie die aus der Herstellung der Verpackungs-materialien resultierenden Umweltwirkungen (insbesondere Treibhausgas-emissionen und Verbrauch an fossilen Energieträgern) betrachtet und zu einer verständlichen und transparenten Bewertung zusammengefasst. Zudem können monetäre Anreize direkt am Point of Sale zu einer Änderung des Kaufverhaltens beitragen und auch eine gewisse Orientierung bieten (zum Beispiel günstigere Preise an der Bedientheke oder ähnliches). - Indirekt auf das Verhalten von VerbraucherInnen würde sich auch eine Verpackungssteuer auswirken. Da ökologisch nachteilige Verpackungen teurer würden, müssten Hersteller durch Anpassungen im Produkt- bzw. Verpackungsdesign Alternativen anbieten, die sich die Kunden auch leisten müssten.
- Vermehrte Pfandpflichten oder monetäre Anreize für Mehrwegsysteme hätten eine ähnliche Wirkung auf das VerbraucherInnenverhalten und könnten gezielt in Richtung plastikärmeres Einkaufen führen. Mehrwegverpackungen ergeben jedoch nur Sinn, wenn diese Systeme tatsächlich ökologisch vorteilhaft sind.
- Im Bereich Entsorgung würde eine Vereinheitlichung und Vereinfachung des Systems eine Entlastung bedeuten. Auch eine bessere und einfachere Kennzeichnung auf den Verpackungen, wie sie am besten entsorgt werden, wäre eine Orientierungshilfe. Bei den schwer recycelbaren Multilayer-Materialien wäre ein Aufschlag bei der Verpackungslizenzierung wie in Frankreich möglich, damit sich das Verpackungsdesign in eine andere Richtung entwickelt. Monetäre Anreize werden durch das neue Verpackungsgesetz erwartet, das eine Lenkungswirkung (‚Bonus-Malus-System‘) vorsieht. Ein weiterer Ansatz ist, zu erforschen, ob es gegebenenfalls rentabler ist, diese Verpackungen aus Multilayer-Materialien mit einer klaren Kennzeichnung direkt über die Restmülltonne zu entsorgen, anstatt sie umständlich einem Sammelprozess zuzuführen und dann am Ende ohnehin thermisch zu verwerten. Darüber hinaus sollten alle Sortieranlagen auf dem neuesten technischen Stand sein und das Entsorgungssystem an biologisch abbaubare Kunststoffe angepasst werden.