Helden des E-Commerce-Booms

Der Online-Handel schreibt seine Wachstumgsstory weltweit unbeirrt fort. Ohne die Verpackungsindustrie wäre der Boom des digitalen Geschäfts jedoch kaum möglich.

Wenn Otto Normalverbraucher ins nächstgelegene Warenhaus ging, um sich eine neue Haushaltsschere zu kaufen, haderte er anschließend zu Hause oft mit seinem Schicksal. Denn um die Blisterverpackung seiner Schere zu öffnen, hätte er eigentlich eine Schere gebraucht. Nur kam er an die leider nicht heran, eben wegen der Verpackung. Sie macht sich eigentlich erst bemerkbar, wenn etwas klemmt oder die Ware nicht ausreichend geschützt wird. Der Kampf mit der Blisterverpackung ist aber auch ein Beispiel dafür, wie Verpackung den Konsumenten frustrieren kann.

Den einstigen Otto Normalverbraucher gibt es nicht mehr. Statt seiner hantieren Marketingabteilungen inzwischen mit Personas. Und die idealtypischen Kunden kaufen auch nicht mehr ausschließlich im Warenhaus, das es in den Innenstädten immer seltener gibt. Der moderne Konsument ist im Onmi- oder Multi-Channel unterwegs. Die Deutschen kaufen gern und viel online ein. Geblieben ist aber das Thema Verpackung.

Frustfrei Verpacken und Retournieren

Amazon ist für viele Händler das personifizierte Feindbild. Dabei können Handel und Industrie gleichermaßen viel vom größten Online-Händler Deutschlands lernen. So ist es Amazon gelungen, mit seiner frustfreien Verpackung eigentlich eine Selbstverständlichkeit als Besonderheit zu positionieren. Der Kunde soll möglichst einfach an das verpackte Gut gelangen. Dabei geht es dem Unternehmen nicht nur um die Umverpackung für den Versandweg, sondern auch für Produkte unter eigener Marke. Bei seinen elektronischen Produkten wie dem E-Reader Kindle oder dem smarten Lautsprecher Echo hat sich Amazon ganz offenbar von Apple inspirieren lassen. Jedes Verpackungselement im Karton hat eine Funktion. Kleine Laschen erleichtern das Öffnen und statt schmucklosem Klebeband als Produktsiegel wird ein besonders weiches Kunststoffband verwendet, das mittels Perforation und kleiner Laschen sanft entfernt wird. Das stellt große Anforderungen an das Verpackungsdesign und auch an die Hersteller.

Mit frustfreien Verpackungen unterstreichen Amazon und andere Hersteller ihren Ideenreichtum. Die unterschwellige Botschaft an den Kunden lautet, dass eben nicht nur das Produkt smart und innovativ ist, sondern auch bereits die Verpackung. Und das Entpacken kann den Konsumenten so begeistern, dass er darüber sogar Videofilme dreht. Kostenlose Werbung für den Hersteller oder Händler.

Die Ankündigung von Amazon, sich verstärkt für solche Verpackungen einzusetzen, trifft aber noch einen anderen Nerv der Konsumenten. Denn Nachhaltigkeit und Umweltschutz stehen gerade bei jüngeren Zielgruppen oben auf der Agenda. Eine Verpackung, die auf Materialmix verzichtet und dort, wo dieser nicht zu vermeiden ist, zumindest die Trennung der Wertstoffe erleichtert, zahlt ebenfalls auf dieses Thema ein.

Für nicht wenige Geschäftsmodelle im Digital Commerce ist auch das möglichst einfache Retournieren der Produkte essenziell. Fashion- und Beauty-Händler Zalando animiert die Kunden, sich die bestellten Produkte in Ruhe zu Hause anzusehen. Und wie jeder Konsument weiß, sind hier gleiche Konfektionsgrößen nicht automatisch eine Passgarantie. Es geht bei der Gestaltung der Verpackung also auch darum, den Rückversand möglichst einfach zu gestalten. Denn wer hat schon gleich Klebestift oder Paketband zur Hand, wenn er ein neues Paar Schuhe bestellt hat?

Markenbotschafter Verpackung

Bei der Wahl des richtigen Produkts im Warenhaus oder Supermarkt spielt die Verpackung bekanntermaßen eine wichtige Rolle. So gelten die Produkte der Marke Nivea als regelrechte Ikonen modernen Designs. Sie sind schnell wiedererkennbar, machen Lust auf das Produkt und schützen den Inhalt gleichermaßen. Und dass es schon lange nicht mehr reicht, Kochsalz in einen weißen Karton zu packen, darauf Salz zu schreiben und das als Eigenmarke ins Regal zu stellen, wissen inzwischen alle Lebensmitteleinzelhändler.

Händler, die den E-Commerce lediglich als lästige Pflicht sehen, werden wahrscheinlich die Waren einfach in Karton oder Versandtasche stecken und auf die Reise schicken. Sie verschenken damit aber Potenzial bei ihren Käufern. Auch hier darf man sich ruhig von Amazon und Zalando inspirieren lassen. Denn jedes Paket trägt Logo und Slogan des Händlers. Er wird zur Marke und bringt sich kurz vor dem Auspacken damit noch einmal in Erinnerung. Ein Vorbild und auch der Grund dafür, warum Marktplatzbetreiber den angeschlossenen Händlern gern Verpackungsmaterial besonders günstig anbieten, inklusive ihrem Logo. Denn damit wird der Marktplatz zur Marke, der Händler dagegen austauschbar.

Nach dem Auspacken sind Versandverpackungen für den Kunden in erster Linie ein lästiges Problem. Er muss sie entsorgen und das ist mit Aufwand verbunden. Das muss indes nicht sein, wenn die Verpackung auch nach dem Auspacken noch eine Funktion übernehmen kann. Der Fahrradhersteller Canyon listet seine Verpackung direkt auf der Internetseite sogar als einen der Gründe für die Kunden auf, um sie vom Kauf im Online-Shop zu überzeugen. Denn die spezielle Verpackung sorgt nicht nur für den sicheren Versand des sperrigen Gutes, sondern spart Kunden, die mit dem Fahrrad verreisen wollen, die Anschaffung teuren Spezialzubehörs. Unter dem Aspekt Nachhaltigkeit und Markenbotschaft alles richtig gemacht.

Die Versandverpackung – individuell wie der Kunde

Große Versandhändler wie Amazon und Otto wirken gegenüber dem Kunden wie monolithische Blöcke, sind aber inzwischen immer mehr Marktplätze, auf denen kleinere Händler ihre Produkte auf eigene Rechnung verkaufen. Und die greifen nicht ohne Not zu Karton von der Stange. Denn viel zu häufig gehen die Mengenstaffeln der Verpackungsanbieter von Losgrößen aus, die zu Zeiten der Versandhausriesen wie Neckermann und Quelle noch angemessen waren, aber für kleinere Unternehmen nicht erschwinglich sind. Denn die müssen auf den Marktplätzen besonders kostenbewusst arbeiten, schließlich schaffen Marktplätze absolute Transparenz beim Preis, der in diesen Fällen zum einzigen Differenzierungsmerkmal wird.

Um das zu vermeiden, setzen viele Unternehmen auf Individualität: Die persönliche Kaffeeröstung, die eigens zusammengestellte Müslimischung oder das kuratierte Paket mit Bekleidung sind nur einige Beispiele aus dem aktuellen E-Commerce-Geschehen. Lösungsanbieter müssen Dienstleistungen und Verpackungen entwickeln, die auch für die Losgröße 1 passen. Das Bedrucken des Kartons mit dem Namen des Kunden vor dem Versand oder die Begrüßung des Konsumenten mit seinem Namen auf der Innenseite der Verpackung stehen beispielhaft für den Trend zu Personalisierung. Wo Produktempfehlungen dank künstlicher Intelligenz auf den Käufer abgestimmt sind, muss es das Paket mit der Ware auch sein. Die Verpackung wird zum Unikat und wirkt auf den Kunden wie maßgeschneidert. An der Verpackungslinie setzen Händler, die es sich leisten können, deswegen gern auf unbedruckte Rohlinge, die dann erst in der Linie bedruckt werden. Auch im Marketing sind innovative Lösungen gefragt, die etwa saisonal abgeänderte Verpackungen zur individuellen Kundenansprache auch bei kleineren Auflagen ermöglichen. Die erforderliche Flexibilität des Handels im Digital Commerce überträgt sich somit auch auf die Hersteller von Verpackungsmaschinen und Druckereien. Gute Chancen haben Marktteilnehmer, die solche Händlerwünsche erfüllen können, etwa durch besonders kurze Umrüstzeiten, modulare Maschinenkonzepte oder auch Robotik in der Fertigung.

Neue Geschäftsmodelle und Technologien erfordern neue Verpackungen

Unstrittig ist: E-Commerce ist schon lange kein vorübergehendes Phänomen mehr. Wirtschaftswissenschaftler und Branchenmanager sind noch uneins über die Frage, wie hoch der Anteil des digitalen Verkaufs in einzelnen Branchen sein wird. Das zeigt sich beispielsweise aktuell beim Versand von Lebensmitteln über das Internet. Derzeit macht E-Food am Gesamtvolumen des Markts zwischen 1 und 2 Prozent aus, spielt also noch keine bedeutende Rolle. Dafür hat das Segment aber zweistellige Zuwachsraten. Entsprechend versuchen Unternehmen hier, ihre Marktanteile zu erobern. Obowohl es sich dabei noch um eine Nische handelt, gibt es dort einen großen Bedarf an Verpackungen, die den hohen Anforderungen des Gesetzgebers gerade in Hinblick auf die Hygiene genügen.

Multi- und Omni-Channel-Strategien machen es für den Handel erforderlich, auch neue Distributionsmodelle zu erproben. Beim Konzept des „Ship from Store“ werden die Filialen eines Händlers zur Lagerfläche. Dieses Konzept will der Modehändler Zara weltweit in allen seinen Filialen umsetzen. Das stellt einerseits Anforderungen an die Warenwirtschaft, die in Echtzeit die Bestände von zentralem Lager und Filialen überwachen muss. Und auch hier kommt die Verpackung ins Spiel.

Der Handel erprobt eine ganze Reihe verschiedener Ansätze. So werden die Barcodes der Verpackungen beispielsweise von Drohnen abgefilmt, die sich ihren Weg durch das Lager bahnen. Erprobt werden aber auch Roboter, die Near-Field-Communication-Etiketten permanent auswerten und so eine Kon­trolle nahezu in Echtzeit ermöglichen. Ein anderer Ansatz nutzt dagegen Kameras und eine intelligente Bilderkennung, die aus den gewonnenen Bildern den Lagerbestand eines Produkts erkennt. Noch nicht absehbar ist, was das sogenannte „Internet of Things“ (IoT) hier an smarten Verpackungen möglich machen wird. Einfachste Beispiele sind zweidimensionale Codes, die auf der Verpackung aufgebracht werden, um über mobile Datenerfassung oder das Smartphone weitere Informationen auf Abruf zur Verfügung stellen. Die Codes lassen sich aber auch im Marketing einsetzen, wenn sie Daten für Augmented-Reality-Anwendungen bereitstellen. Lesbarkeit und Qualität solcher Codes sind vom Drucksystem abhängig. Druckstraßen, die per Tintenstrahl in einem kontinuierlichen Prozess die Codes auf die Verpackung übertragen, genügen bereits. Über intelligente Steuerungssysteme sind Änderungen schnell umsetzbar.

Noch einen Schritt weiter gehen Ansätze, die auf Near Field Communication (NFC) basieren. Intelligente Etiketten könnten Mesh-Netzwerke untereinander aufbauen. Die Auswertung der Signale bringt nicht nur eine enorm hohe Bestandsgenauigkeit mit sich. Jede Verpackung und damit auch jeder Artikel könnte über das Netzwerk Informationen über sich und seine aktuelle Position ermitteln und weitergeben. Das würde sowohl die Arbeit beim Kommissionieren von Waren durch Mitarbeiter oder Roboter erleichtern als auch die Navigation zum gewünschten Produkt ermöglichen. Was wie Science-Fiction klingt, ist bereits heute in ersten Ansätzen möglich. Die Verpackung mit den Schrauben, die der Kunde gerade im Baumarkt sucht, lotst ihn direkt zum Regal, wo er seine Ware entnehmen kann. Internet-of-Things-Technologien können der Schlüssel bei einem anderen Problem des Handels sein. Gerade bei Luxuswaren wollen weder Verbraucher noch Handel Fälschungen aufsitzen. Einen NFC-Tag zu kopieren ist zwar nicht unmöglich, aber viel schwerer, als lediglich die Anmutung einer Verpackung zu imitieren.

An einem Thema werden Händler, Verpackungsindustrie, Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP) indes in der nächsten Zeit gemeinsam arbeiten müssen. Denn nach wie vor geht viel zu viel Luft auf die Reise. Das ist nicht nur zu teuer – die Zahl der Sendungen bringt auch die KEP-Branche an die Kapazitätsgrenzen. Eine Reduktion der Paketgrößen kann hier bereits für spürbare Entlastung sorgen. Die Digitalisierung der Geschäftsmodelle und rasante Fortschritte bei der Entwicklung von Robotik, künstlicher Intelligenz und dem Internet der Dinge verändern die Welt des Handels. Und der braucht in der Verpackungsindustrie einen starken Partner, der innovative Lösungen entwickelt. Ein einfacher Karton und die Standardpalette – sie reichen eben nicht mehr.

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