Glas schlägt Einweg: Momentaufnahme oder nachhaltiger Trend?
Angesichts schwimmender Plastikteppiche im Meer und Demonstrationen für den Umweltschutz greifen wieder mehr Verbraucher zur Mehrwegflasche aus Glas. Viele Abfüller folgen dem Kundenverhalten und vollziehen damit eine Rolle rückwärts. Auf Einwegflaschen und Dosen verzichten sie aber dennoch nicht.
von Sigrun an der Heiden
Hans-Peter Kastner ist ein Mann mit Prinzipien. Der Getränkehändler aus Stuttgart-Vaihingen startete diesen Sommer eine spektakuläre Aktion: Der Familienbetrieb, der selbst kaum Einwegprodukte verkaufte, sammelte sechs Wochen lang Plastikflaschen und Getränkedosen. „Über 50 Säcke mit Discountermüll kamen zusammen“, berichtet der Kaufmann. 10.400 Flaschen und Dosen landeten im Pfandautomaten des Getränkehändlers – überwiegend Produkte von Aldi, Lidl und Kaufland. Während Discounter, die den meisten Plastikmüll produzieren, damit ein gutes Geschäft machen, hat er deren Müll gezählt, gelagert und entsorgt. Zwar bekommt der Kaufmann von den Clearingstellen, bei denen er das Einweg abgibt, das Pfand erstattet. Auf den Entsorgungskosten – rund 5 Cent pro Flasche beziehungsweise Dose – bleibt er jedoch sitzen. „Danach stand mein Entschluss fest. Entweder ich höre auf, oder Plastik fliegt bei mir aus dem Sortiment“, sagt Kastner. In einem Brief an seine Kunden kündigte Kastner über Facebook an, dass er ab 1. August keine Getränke mehr in Einwegverpackungen verkaufen werde und appellierte an ihr ökologisches Gewissen: „Kaufen Sie Mehrweg anstatt Einweg. Reduzieren Sie unnötigen Plastikmüll. Sichern Sie die Nahversorgung und somit auch die Nachhaltigkeit.“ Der Ankündigung folgten Taten. Die Getränkedosen sind aus den Regalen verschwunden. Einweg-PET gibt es nicht mehr. Nur 2 Prozent seines Sortiments musste der Händler tatsächlich aussortieren. „Für alle anderen Produkte gibt es Mehrwegalternativen aus Glas“, sagt Kastner. Er setzt nun verstärkt auf regionale Produkte in Glas-Mehrwegflaschen, kurze Transportwege und Wiederbefüllung. Seine Stammkundschaft und viele Follower auf Facebook stärken ihm den Rücken. Sie loben seinen Mut, Getränke in Einwegplastik und Dosen auszulisten, mit denen der Familienbetrieb bisher 30 bis 35 Prozent seines Umsatzes erwirtschaftete. Kastner hofft, dass andere Händler seinem Beispiel folgen und das wachsende Umweltbewusstsein der Verbraucher sich auch im Inhalt des Einkaufswagens widerspiegelt. Auf seinen Preisschildern gibt er nun den Abfüllort des Getränks sowie den Transportweg in Kilometer an, um den Kunden die Kaufentscheidung zu erleichtern. Wasser, Säfte, Limos und Biere, die maximal 125 Kilometer im Lkw unterwegs sind, erhalten ein regionales Siegel.
Mehrwegflaschen aus Glas feiern Comeback
Glas als Verpackung für Mineralwasser und Erfrischungsgetränke feiert derzeit ein Comeback. Nachdem die Abfüller vor einigen Jahren auf die leichteren Kunststoffflaschen aus Polyethylenterephthalat (PET) umgestellt haben, leiten sie nun die Rolle rückwärts ein und investieren wieder in Glas. „Seit zwei Jahren ist im Bereich Mineralwasser ein Trend zur Mehrweg-Glasflasche festzustellen. Viele Mineralbrunnen haben ihre Gebinde revitalisiert und neue Kästen eingeführt“, sagt Dirk Reinsberg, seit August geschäftsführender Vorstand des Bundesverbands des deutschen Getränkefachgroßhandels. Auch schlankere, leichtere Poolflaschen der Genossenschaft Deutscher Brunnen (GDB) sind seit 2017 auf dem Markt. „Verbraucher beschäftigen sich mehr mit der Getränkeverpackung und sind auch bereit, für hochwertige Mehrwegverpackungen einen höheren Preis zu bezahlen“, freut sich Reinsberg über die Entwicklung.
Beim Marktführer, der Gerolsteiner Brunnen GmbH & Co. KG, ist die individuell designte 1,0-Liter-Glasflasche seit Jahren der Wachstumstreiber: 2018 stieg der Absatz im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 15 Prozent. Für das laufende Jahr erwartet Roel Annega, als Vorsitzender der Geschäftsführung verantwortlich für Strategie, Marketing, Vertrieb und International, ein noch stärkeres Wachstum. Der Produzent aus der Vulkaneifel setzt daher weiter auf Glas und hat eine neue 0,75-Liter-Mehrwegflasche im 12er-Kasten auf den Markt gebracht. Statt auf GDB-Poolflaschen setzt Gerolsteiner auch dieses Mal auf eigene Glasflaschen, die nach und nach die bisher genutzten 0,7- und 0,75-Liter-Mehrweggebinde ersetzen. „Glas wird von vielen qualitätsbewussten Verbrauchern und Markenverwendern in Anmutung und Haptik als höherwertig erlebt“, erklärt Annega den Trend. „Zudem wird die Glasflasche von vielen als nachhaltigere
Verpackungslösung gesehen.“
Mehr Softdrinks in Glasflaschen
Auch Branchenriese Coca-Cola hat die Bedeutung des Themas für den deutschen Markt erkannt. „Die Nachfrage nach Getränken in der Glasflasche ist bezogen auf unser gesamtes Getränkeangebot in Deutschland um rund 4 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen“, sagt Uwe Kleinert, Leiter Nachhaltigkeit und Unternehmensverantwortung bei der Coca-Cola GmbH. „Allein in der Softdrink-Kategorie sind es rund 5 Prozent mehr.“ Seine Erklärung: Viele Verbraucher trinken ihre Coca-Cola am liebsten aus der Glasflasche. Seine Softdrinks bietet der Konzern daher auch in Glas-Mehrweg verschiedener Größen an. Selbst die 1-Liter-Glasflasche, die es in den 1980er Jahren gab, ist wieder zurück im Handel. Der Branchenriese erweitert sein Angebot: „Wir möchten Vio in der Glas-Mehrwegflasche für den Handel einführen“, erklärt Kleinert. „In der Gastronomie gibt es das bereits.“ Bei manchen Getränken setzt Coca-Cola für den deutschen Markt sogar ganz auf Glas: „Neben unseren Vio Schorlen füllen wir Honest Bio Tee und die neue Honest Bio Limonade in Deutschland ausschließlich in Glas-Mehrwegflaschen ab“, betont Kleinert. Weltweit wird der Honest Bio Tee in PET-Einweggebinden verkauft.
Den Umschwung im Markt merken auch die deutschen Glashersteller. „Vor zehn Jahren wurden Süßgetränke und Wasser kaum in Glasflaschen abgefüllt“, erinnert sich Nikolaus Wiegand. „Von einem niedrigen Niveau kommend, ist die Nachfrage nun extrem gewachsen“, erklärt der Geschäftsführer von Wiegand-Glas in Steinbach im Wald. Das Unternehmen produziert 2,8 Milliarden Glaseinheiten im Jahr. 90 Prozent davon sind Getränkeflaschen. Der Behälterglashersteller mit vier Standorten in Bayern und Thüringen geht nicht von einem kurzen Hype aus, sondern rechnet damit, dass die Nachfrage weiter steigt. „Das Thema Nachhaltigkeit spielt dabei eine große Rolle“, meint Wiegand. Problematisch sei, dass die Glashütten derzeit nicht mehr produzieren können. „Das Angebot ist relativ starr, da sich die Kapazitäten nicht so schnell hochfahren lassen“, erklärt er. Eine Glasschmelzwanne werde alle 10 bis 12 Jahre erneuert. Wiegand-Glas hat kürzlich eine größere Wanne in Betrieb genommen und baut weitere Kapazitäten auf.
Mehrwegquote noch immer deutlich zu gering
Macht das gestiegene Umweltbewusstsein der Verbraucher die Glas-Mehrwegflasche also wieder salonfähig? Daran würde Gerhard Kotschik gerne glauben, doch der Trend habe sich bisher nicht in den Zahlen niedergeschlagen. „Es gibt keine großen Veränderungen im Markt für Getränkeverpackungen“, berichtet der Fachmann für Verpackungen beim Umweltbundesamt. Die aktuellen Zahlen lässt die Behörde gerade erheben. „Die Mehrwegquote für das Jahr 2017 wird sich wieder bei rund 44 Prozent einpendeln“, so viel weiß er schon. Das Verpackungsgesetz, das seit Januar in Kraft ist, schreibt jedoch eine Quote von 70 Prozent vor. Umweltschützer halten das Regelwerk für einen zahnlosen Tiger, weil es keine konkreten Sanktionen für Hersteller vorsieht, sollte die Quote wieder verfehlt werden. Auch Kotschik erwartet aufgrund des neuen Gesetzes „keine großen Umwälzungen am Markt“. Das Bundesumweltamt empfiehlt Verbrauchern schon seit Jahren, ihre Getränke regional und in der PET- oder Glas-Mehrwegflasche zu kaufen, um Müll zu vermeiden und die Umweltbelastungen gering zu halten. Die letzte eigene Ökobilanz der Behörde, die Umweltauswirkungen von Verpackungen über ihren gesamten Lebenszyklus – von der Rohstoffgewinnung über die Produktion bis hin zum Recycling beziehungsweise der Entsorgung – untersucht, stammt jedoch aus dem Jahr 2002. Seitdem überlässt man es der Getränkeindustrie, nachzuweisen, dass ihre Verpackungen umweltverträglicher geworden sind. Meist rufen sie dann bei Benedikt Kauertz an. Er forscht am Heidelberger Institut für Energie- und Umweltforschung (IFEU) und war an allen wichtigen Studien der letzten Jahre beteiligt. Einfache, pauschale Antworten gibt es für den Wissenschaftler nicht, denn Ökobilanzen sind hochkomplex. Die Ergebnisse gelten zudem nur für das jeweilige Getränkesegment, „denn nicht jedes Füllgut lässt sich in jede Verpackung abfüllen“, erklärt der Fachbereichsleiter Industrie und Produkte.
Wie Ökobilanzen erstellt, welche Daten erhoben werden und welche Rechenmethoden anzuwenden sind, hat das Bundesumweltamt genau vorgeschrieben. Neben dem Material der Verpackung (Glas, Kunststoff, Aluminium, Weißblech, Verbund), der eingesetzten Menge an Rohstoffen sowie aus Recycling gewonnenem Sekundärmaterial, dem Energieverbrauch bei Produktion, Abfüllung und Recycling spielen auch die Transportwege eine entscheidende Rolle. Wie lange ist das abgefüllte Produkt zum Konsumenten unterwegs? Wie viele Kilometer kommen zusammen, wenn Flaschen oder Dosen eingesammelt, sortiert und recycelt oder zur Müllverbrennungsanlage gefahren werden? Kauertz beschäftigt sich mit der Frage, woher die verwendete Energie stammt – aus Kohle oder Erneuerbaren – und ob die Anlagen eine Energierückgewinnung einsetzen. Je weniger Material ich für eine Verpackung brauche, desto besser ist die Ökobilanz“, führt der Wissenschaftler aus. „Eine leichte Flasche hat einen Vorteil gegenüber einer schwereren Flasche.“ Im Mehrwegsystem ist die Umlaufzahl entscheidend: „Je häufiger die Flasche wiederbefüllt wird, desto geringer ist der Materialverbrauch in der Produktion.“
Ökobilanzen sind nur selten aussagekräftig
Laut einer Deloitte-Studie von 2013 wird die marktführende Poolflasche für Bier durchschnittlich 42-mal, die zwei wichtigsten GDB-Poolflaschen für Mineralwasser und Erfrischungsgetränke aus Glas 38- beziehungsweise 44-mal befüllt. Dafür sind die Glasgebinde mit rund 500 Gramm deutlich schwerer als
ihre Konkurrenten aus Plastik. Eine Mehrwegflasche aus PET wiegt um die 60 Gramm, die Einwegflasche sogar nur knapp 30 Gramm. Die Ökobilanz von Glas ist also nicht automatisch besser als die von Plastik, vor allem wenn individuelle Glasflaschen zur Wiederbefüllung lange Strecken zur Quelle zurücklegen und nicht wie die Poolflaschen untereinander getauscht werden. „Optimierte, leichte PET-Einweg-Flaschen mit einem hohen Recyklatanteil sind zum Teil gleichwertig oder besser als Glas-Mehrwegflaschen“, sagt Kauertz. „Sie sind aber kaum im Supermarktregal zu finden“, räumt er ein. In den Flaschen aller Hersteller sind bisher im Durchschnitt 28 Prozent recyceltes PET (rPET) enthalten, der Großteil besteht aus neuem, aus Erdöl hergestelltem Kunststoff.
Große Hersteller wie Coca-Cola arbeiten intensiv daran, ihre Verpackungen zu verbessern und Materialien wiederzuverwenden. Verbrauchern, die umweltbewusst einkaufen möchten, hilft dies aber kaum weiter. „Ökobilanzen bilden die durchschnittlichen deutschen Verhältnisse ab“, erklärt Kauertz. „Diese Verpackungen können Sie so in keinem Supermarkt kaufen.“ Deshalb ließe sich aus den Ergebnissen auch keine Kaufempfehlung ableiten. Kritik an der jüngst veröffentlichten Ökobilanz für die Getränkesegmente Milch, Saft und Nektar lässt er daher nicht gelten. Hier hatte der Getränkekarton das Rennen gemacht. Er ist bei Milchverpackungen dem Glas-Mehrwegsystem und PET-Einweg überlegen. Da es nur wenige Hersteller gibt, die Milch in Flaschen abfüllen, wirkten sich die langen Transportwege negativ aus. Bei Fruchtsäften wies der 1,5-Liter-Getränkekarton den kleinsten ökologischen Fußabdruck auf, gefolgt vom 1-Liter-Karton und der 1-Liter-Glas-Mehrwegflasche, die das IFEU als gleichwertig einstufte. „Für ausschließlich regionale Mehrweg-Abfüller gilt das Ergebnis natürlich nicht“, stellt Kauertz klar. „Ihre Ökobilanz würde besser ausfallen.“ Die Plastikflaschen fielen in diesem Segment durch, da sie aus einem Verbund aus Polyethylen und Polyamid bestehen, was das Recycling erschwert. Sie landen meist in der Müllverbrennung.
Alle Hersteller von Getränkeverpackungen und ihre Verbände betonen unisono, dass ihre Verpackungen umweltverträglicher geworden sind. Flaschen und Dosen werden leichter, Produktionsprozesse effizienter und die Recyclingquote für PET im Pfandsystem liegt inzwischen bei über 97 Prozent, da hier der Wertstoffkreislauf nahezu geschlossen ist. Das Forum Getränkedose, das die Kommunikation der großen Branchenplayer Ardagh Group, Ball Beverage Packing Europe und Crown Packaging Europe pro Dose unterstützt, führt sogar eine sehr hohe Recyclingrate von 99,1 Prozent ins Feld. Metall und vor allem auch Aluminium ließen sich im Sinne einer Kreislaufwirtschaft nahezu unbegrenzt wiederverwenden. „Auch aus einem recycelten Lampenschirm oder Fahrradrahmen
lässt sich eine Getränkedose herstellen“, meint der Geschäftsführer des Forums Stephan Rösgen. Wie gut oder schlecht eine Dose aus Aluminium oder Weißblech im Vergleich zu anderen Verpackungen abschneidet, darüber lässt sich wenig sagen. Die letzte Ökobilanz für den deutschen Markt stammt aus dem Jahr 2010. Damals fiel die Dose durch. Umweltschützer kritisieren, dass Getränke in der Dose inzwischen auch in kleinen Füllgrößen von 150 ml in den Supermarktregalen stehen. Zu viel Verpackung für wenig Inhalt. Den Verbraucher interessiert das wenig. Im To-Go-Bereich ist die Dose gefragt, weil sie leicht zu kühlen ist. 3,51 Milliarden Dosen konsumierten die Deutschen 2018 – ein Plus von gut 23 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Marktanteil der Dose bei Bier liegt bei 7,2 Prozent. „Namhafte Brauereien haben mittlerweile eigene Abfüllanlagen für Dosen und Discounter listen die Dose“, berichtet Rösgen. „Aldi, Lidl und Co vermarkten nicht nur ihre Eigenmarken als Dosenbier, sondern auch typische Fernsehbiere sehr preisaggressiv“, erklärt sich der Vertreter des Getränkefachgroßhandels Reinsberg den Zuwachs.
In den USA planen große Hersteller wie PepsiCo und Coca-Cola auch Wasser in der Dose zu verkaufen. Ende Juni kündigte PepsiCo an, sein sprudelndes Mineralwasser der Marke Aquafina nicht mehr in der Plastikflasche, sondern künftig in der Aluminiumdose anbieten zu wollen, um Plastikmüll einzusparen. Auch Coca-Cola teilte mit, ihr Wasser der Marke Dasani in Aludosen auf den Markt zu bringen, zunächst im Nordosten der Vereinigten Staaten und 2020 auch in anderen Regionen. Uwe Kleinert kann sich nicht vorstellen, dass Coca-Cola hierzulande Wasser in der Dose auf den Markt bringt. „Manche Kunden mögen die Dose als Verpackung für Erfrischungsgetränke, deshalb bieten wir sie an“, erklärt der Leiter Nachhaltigkeit. „Ihr Anteil ist aber mit unter 5 Prozent gering.“ Im regional gut aufgestellten deutschen Mineralwassermarkt mit seinen 200 Brunnenunternehmen dürfte es die Dose auch schwer haben.
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