„Es geht uns um mehr als Nachhaltigkeit, es geht um Regeneration“
Nachhaltigkeit gehört zu den wichtigsten Maximen von Lush Fresh Handmade Cosmetics – auch im Verpackungsbereich. Ruth Andrade, Head of Regenerative Impact & Earth Care, spricht im Interview über die Unternehmensphilosophie, recycelbare Materialien und Zukunftspläne.
Lush möchte die Welt besser hinterlassen, als das Unternehmen sie vorgefunden hat. Wie lässt sich das bewerkstelligen?
Ruth Andrade: Indem Lush eine ganzheitliche Unternehmensphilosophie lebt. Sie umfasst vier Bereiche: Bei Earth Care handelt es sich um den Klima- und Naturplan, der unter anderem darauf abzielt, möglichst keine Treibhausgase mehr zu erzeugen, während People Care unsere Arbeit für Gleichberechtigung, Vielfalt und Inklusion meint. Zu Fair Shares gehören der Employee Benefit Trust, das Fair-Tax-Siegel, Spendenprogramme und die faire Bezahlung von Lieferantinnen und Lieferanten. Unter Animal Rights subsumieren wir unsere langfristigen Bemühungen,
Tierversuchen ein Ende zu setzen. Dafür braucht es Zeit.
Welche Etappenziele ließen oder lassen sich auf die Schnelle umsetzen?
Da wir an unseren Vorhaben schon über ein Jahrzehnt arbeiten, konnten wir bereits viele Meilensteine erreichen. In Deutschland zum Beispiel beziehen wir für alle Standorte und die Manufaktur in Düsseldorf ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien. Zudem benutzen wir seit 2008 nahezu 100 Prozent recycelte Pötte und Flaschen.
Das von uns verwendete Papier besteht derzeit zu 98 Prozent aus recycelten Fasern oder landwirtschaftlichen Abfällen.
Bei welchen Maßnahmen denken Sie langfristig?
Auf lange Sicht geht es uns um mehr als Nachhaltigkeit, es geht um Regeneration. Wir wollen nicht nur Schaden verhindern, sondern aktiv einen Teil des bereits angerichteten Schadens beheben, etwa durch die Wiederherstellung verlorener Wälder und die Entfernung von Plastikmüll aus den Ozeanen. In Zeiten wachsender Müllberge geraten Verpackungen immer mehr in den Fokus.
Wie trägt Lush dazu bei, das Abfallproblem nicht weiter zu vergrößern?
Das Unternehmen entwickelt seit 27 Jahren Produkte, die beispielsweise ganz ohne Verpackung auskommen. Wir haben 1987 das weltweit erste feste Shampoo erfunden. Dadurch konnten wir in den letzten 27 Jahren 167,5 Millionen Flaschen einsparen; derzeit besteht das Lush-Sortiment zu 66 Prozent aus unverpackten Produkten. Unser Ziel ist es, Verantwortung für unseren Abfall zu
übernehmen. Um alle Verpackungen kommt das Unternehmen trotzdem nicht herum.
Aus welchen Materialien bestehen diese Verpackungen?
Wir verwenden eine breite Palette von Materialien, vor allem recycelten Kunststoff für unsere flüssigen Produkte und Papier aus verschiedenen Fasern wie Hanf oder Banane. Für einige Geschenke benutzen wir auch Tücher aus regenerativer Bio-Baumwolle. Wenn wir alle Verpackungen einschließlich der Transportverpackungen berücksichtigen, bestehen diese derzeit aus 98 Prozent recyceltem Papier und 67 Prozent recyceltem Plastik. Wie stellt Lush sicher, dass bei den Verpackungslieferanten nicht doch bedenkliche Rohstoffe zum Einsatz kommen? Bei der Beschaffung von Materialien verfolgt unser Creative Buying Team eine strenge Politik: Wir führen Befragungen bei unseren Lieferanten durch, machen Besuche und pflegen direkte Beziehungen. Hinzu kommt, dass wir unsere Papier- und Zellstoffpolitik gerade verschärft haben, und Materialien wie natürliches Mica, dessen Lieferkette tief mit moderner Sklaverei verstrickt ist, vermeiden wir ganz.
Welche umweltfreundlichen oder klimapositiven Aufbewahrungsboxen gehören zum Sortiment?
Ein gutes Beispiel ist unser sogenannter Cork Pot, ein Behälter aus Kork. Wir haben berechnet und nachgewiesen, dass ein Pot, nur 33 Gramm schwer, CO2-negativ ist. Folglich nimmt er mehr Kohlendioxid auf, als durch die Produktion ausgestoßen wird, um genau zu sein 1,2 Kilogramm CO2 pro Behälter.
Sie bieten aber auch Aluminiumboxen an, obwohl für die Herstellung dieses Materials große Mengen an Rohstoffen und Energie benötigt werden. Wie passt das zu Ihrem Nachhaltigkeitsanspruch?
Wir machen uns sehr für die Umstellung auf 100 Prozent recycelte und wiederverwertbare Materialien stark, der Prozess ist aber noch nicht abgeschlossen. Unsere Aluminiumdosen bestehen jedoch zu 65 bis 67 Prozent aus recyceltem Material, das mit einem Bruchteil der Energie unbegrenzt wiederverwertet werden kann. Außerdem handelt es sich um Behältnisse für eine langfristige Aufbewahrung und nicht um Einwegverpackungen. Im Rahmen unseres aktuellen Forschungs- und Entwicklungsprojekts für Nachfüllpackungen kann zudem die erste in Europa hergestellte
Verpackung aus 100 Prozent recyceltem Aluminium bezogen werden. Und weil wir möchten, dass die von uns verwendeten Materialien in einem Kreislauf bleiben, haben wir im März
2022 das neue Recycling-Programm „Bring it Back“ in Deutschland eingeführt.
Was haben Sie in Sachen Nachhaltigkeit und umweltfreundliche Verpackungen sonst noch vor?
Wir befassen uns weiterhin mit „Zukunftsfasern“ wie Hanf und regenerativen Materialien, insbesondere für unsere Geschenkverpackungen. Bei den Produkten ist Nachfüllen jetzt das große Thema. Unsere Produkte werden mit frischen Zutaten und wenig bis gar keinen Konservierungsstoffen hergestellt, weshalb beim Nachfüllen in nicht gänzlich saubere Behältnisse mikrobiologische Risiken bestünden. Glücklicherweise haben wir nun eine Möglichkeit gefunden, die Behältnisse extern reinigen zu lassen. Kundinnen und Kunden können ihre leere Verpackung also gegen eine saubere tauschen und sich das Produkt hineinfüllen lassen. Dieses Refill-Angebot testen wir in einem Pilotprojekt in Großbritannien.
Ruth Andrade wuchs in Brasilien in einem Betondschungel auf, in dem sie Umweltzerstörung hautnah miterlebte. Wegen dieser Eindrücke entschied sie sich Jahre später, einen Master in Umwelt- und Energieforschung zu machen. Außerdem gründete sie die Blueprint Alliance, ein Kollektiv aus Experten für regeneratives Design im humanitären Bereich. Zum Team von Lush gehörte Andrade erstmals von 2004 bis 2014 als Kontakt für Umweltangelegenheiten. 2019 kehrte sie zu dem britischen Unternehmen zurück, leitet seither die Markenstrategie im Bereich der CO2-Reduktion.
Das Interview führte Andrea Möller