„Design für Recycling muss eine Selbstverständlichkeit sein“

Im Interview spricht Prof. Dr. Thomas Klindt über den Rohstoff der Zukunft: Rezyklate. Klindt ist als Fachanwalt für Verwaltungsrecht Partner der Kanzlei Noerr. Er betreut zahlreiche Kunden aus der Industrie, etwa aus der Verpackungs- und Entsorgungswirtschaft. Unter anderem gehört er dem Wissenschaftlichen Beirat der Forschungsstelle für Verbraucherrecht an der Universität Bayreuth an.

Sie sagen, EU-Vorgaben hätten einen Rezyklatmarkt geschaffen, der mehr Nachfrage als Angebot hat. Woran machen Sie das fest?

Prof. Dr. Thomas Klindt: Nehmen wir das Beispiel PET-Einweg-Getränkeflaschen. Bis 2025 müssen diese nach den EU-Vorgaben einen Rezyklatanteil von 25 Prozent haben, bis 2030 einen in Höhe von 30 Prozent. Die Vorgabe halte ich grundsätzlich für richtig. Die Frage ist aber, ob der Markt tatsächlich so viele Rezyklate hergeben kann. Dann wird das Thema nicht mehr aus der juristischen Perspektive beleuchtet, sondern aus der kaufmännischen Perspektive. Die Schwarz Gruppe etwa hat sich auf diese Welle vorbereitet: Mit dem Geschäftsausbau der Entsorgungsfirma PreZero kann sie ihr eigenes Rezyklat produzieren. Aus den Lidl-PET-Flaschen entstehen neue Flaschen. An dem Beispiel einer europarechtlichen Rezyklat-Mindestquote zeigt sich: Regulierung ist keine Strangulierung; sie kann neue Märkte schaffen.

Was hat das zur Folge?

Klindt: Angenommen meine Prognose stimmt und die Nachfrage nach dem Sekundärrohstoff Rezyklat wird weiter drastisch steigen, dann benötigen wir Innovations- und Investitionsanreize. Und zwar Anreize, um Rezyklate produzieren zu können, nicht nur um sie einsetzen zu müssen. Das können zum Beispiel EU-Fördermittel für die rezyklaterzeugende Industrie sei. Wenn die Sortierung von Haushaltsabfall (Post-Consumer-Rezyklat, PCR) so aufwändig und teuer wie bislang ist, muss man doch schon viel weiter vorne bei der Produktion beginnen. Design for Recycling muss bei Verpackungen eine Selbstverständlichkeit sein. Erst dann haben wir eine echte Kreislaufwirtschaft. Dabei reden viele bei PIR (Post-Industrial-Rezyklat) und PCR vor allem über Sortenreinheit, die Farbenreinheit des Rezyklats scheint mir als technologische Herausforderung unterschätzt. Ohne Reinheiten werden indes die Sortierprozesse oft zu aufwändig gegenüber der Erstproduktion. Es gibt noch zu wenige Verpackungen aus Monomaterialien.

Die Preise für Rezyklate explodieren. Nachhaltige Verpackungen liegen im Trend, auch Verbraucher wollen diese. Wird es bei Händlern und Verbrauchern auch eine Bereitschaft geben, dafür mehr zu zahlen?

Klindt: Nein, das glaube ich eher nicht. Die gestiegenen Preise können nicht 1:1 weitergegeben werden. Dann muss man am Ende fragen, ob eine Verpackung überhaupt nötig ist. Wenn ich als Hersteller teures Rezyklat einkaufen muss, dann geht das vielleicht eine gewisse Zeit lang gut, aber dann muss ich entweder den Preis des Produkts erhöhen, auf Marge verzichten oder das Produkt einstellen.

Der Green Deal steht derzeit angesichts der Inflation und Krisenherde auf dem Prüfstein.

Klindt: Die Frage ist berechtigt, wieviel darf uns der Green Deal kosten? Aber wenn es einen Innovationsdruck gibt, entstehen neue Lösungen. Vorsprung durch Innovation: Unternehmen haben die Chance, sich durch ökologische Innovationen und Rohstoffsicherung hervorzutun.

Wir brauchen eigentlich auch eine nationale Rohstoffsicherungsstrategie. Wir werden viel mehr Primär- und Sekundärrohstoffe am Ende in Europa herstellen müssen, um sie nicht aus Fernost beziehen zu müssen. Alte Bergrechte und Schürfrecht werden gerade wieder interessant.

Mehrere Verbände fordern noch höhere verpflichtende Kunststoff-Rezyklateinsatzquoten in Verpackungen. Was sagen Sie dazu?

Klindt: Statt eine nochmals höhere Quote zu fördern, kann man über die Ausweitung des erfolgreichen Pfandsystems auf weitere Produkte nachdenken. Zum Beispiel für Textilien. Man muss sich jedenfalls anschauen, wo die voluminösesten Abfallströme sind und welche sich für ein Pfandsystem eignen.

Der Gründer von Werner & Mertz und Rezyklat-Pionier, Reinhard Schneider, warnt vor falsch deklariertem Rezyklat in Verpackungen und vor Greenwashing. Gibt es hier rechtliche Schlupflöcher?

Klindt: Ich teile diese Sorge, die EU steht ihr aber nicht wehrlos gegenüber. Die Exekutive wird relativ schnell handeln und irgendwann einen behördlichen Apparat schaffen, der eine Art Rezyklat-Importüberwachung übernehmen wird. Im Grunde erwarte ich im Binnenmarkt analog zur Produktsicherheit ein Netzwerk von Marktüberwachungsbehörden.

Ist die Rückverfolgbarkeit von Rezyklat gewährleistet?

Klindt: Das Thema Rückverfolgbarkeit fliegt uns derzeit etwas um die Ohren. Wir hatten in der deutschen Industrie etablierte Systeme mit akribischen Dokumentationen und digitaler Rückverfolgbarkeit. Jetzt sind die Lieferketten gestört. Es passt nichts mehr zusammen, Ersatzteile fehlen, Rohstoffe sind knapp, Container stehen an falschen Orten. Die Lieferketten reagieren mit improvisierten Substitutionen, eine klassische Verschlimmbesserung. In den Waren schlummern plötzlich sicherheitsrelevante Abweichungen. Diese Fabrikationsfehler sind ein klassischer Fall für Produkthaftungsansprüche. Wir werden Produktrückrufe sehen, weil die echten Ersatzteile fehlen. Und dann müssen sie alle wieder teuer zurückgerufen werden. Diese Produktrückrufe werden ein spätes Echo der gestörten Lieferketten sein und uns Juristen beschäftigen.

Von Anna Ntemiris

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