Problemfeld altersgerechte Verpackung

Bei konsumentengerechter Verpackung gibt es hierzulande noch Nachholbedarf. Oft gilt nicht die Vorgabe „Form Follows Function“, sondern der umgekehrte Weg.

Geht es um die Frage, welche Bedeutung die Marketingabteilungen der nutzerorientierten Gestaltung von Verpackungen beimessen, gibt sich Gundolf Meyer-Hentschel keinen Illusionen hin: „Dem Marketing ist das Thema egal“, stellt der Gründer und Chef des gleichnamigen Instituts mit Sitz in Zürich und Saarbrücken fest. Die Gestaltung ziele allenfalls darauf ab, einen Designpreis zu gewinnen und führe zu einem alltäglichen Konflikt zwischen Verpackungsentwicklung und Marketing.

Meyer-Hentschel beschäftigt sich seit 1985 mit langfristigen Trends und ihren Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft. Auf das weltweite Wachstum älterer Kundengruppen und den damit einhergehenden Convenience-Trend würde in Frankreich und den Niederlanden viel intensiver reagiert. Da seien kundenfreundliche Verpackungen sehr weit verbreitet.

Grundlagen der altersgerechten Verpackung werden nicht beherrscht

Auf Initiative seines Instituts werden alljährlich „höfliche Verpackungen“ ausgezeichnet. Die Kriterien, nach denen die Preisträger ausgewählt werden, haben eigentlich gar keine altersspezifischen Aspekte, sie sind vielmehr das kleine Einmaleins der konsumentengerechten Verpackungsgestaltung. Doch, so Meyer-Hentschel: „Das kleine Einmaleins wird draußen nicht beherrscht.“

Im Grunde stellt die Jury alle Aspekte der Produktgestaltung und des Umgangs mit dem Produkt auf den Prüfstand. Hauptkriterium sei, dass der Verbraucher gut mit der Verpackung umgehen könne. Das  Packungsdesign solle den Verbraucher ansprechen, der die verpackte Ware im Regal gut wiederfinden und von anderen Produkten unterscheiden können müsse. Wenn er es aus dem Regal nimmt, soll es gut zu greifen sein.

Kosten als Grund für die Ablehnung

Ein wichtiger Punkt sei das Verhalten beim Öffnen. Wird eine Bedienungsanleitung gebraucht, um zu zeigen, wie ein kleines Fläschchen mit Augentropfen zu öffnen ist? Kann so etwas im Sinne des Verbrauchers sein? Oder sollte nicht vielmehr der Verschluss so gestaltet sein, dass er intuitiv richtig abgenommen werden kann?

Fragen wie diese müssten eigentlich einfach zu beantworten sein, doch die Praxis sieht oft anders aus. Meyer-Hentschel nennt den Klassiker: den leicht zu öffnenden Schraubverschluss für Marmeladengläser. Es gibt ihn längst! In den Niederlanden rüstet der Hersteller HAK fast alle seine Gläser damit aus, und auch in England und Norwegen ist er weit verbreitet. „In Deutschland wollen ihn die Großen nicht haben“, hier werde der Verschluss wegen der Kosten abgelehnt. Dabei habe in der Schweiz der Lebensmitteleinzelhändler Migros das Modell für sein Marmeladeneigenmarke gewählt – das Glas kostet umgerechnet nur 1,60 Euro!

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Meyer-Hentschel beobachtet den Markt bereits seit mehreren Jahrzehnten. Wie entwickelt er sich in diesem Punkt? „Es wird besser, aber nur sehr langsam, quasi im Zeitlupentempo, vor allem bei den großen Markenartiklern. Die Handelsmarken sind da besser. Die suchen nach einem Zusatznutzen, einem praktischen Feature, mit dem sie ihren sowieso schon guten Inhalt zusätzlich aufwerten. Aber so ein Markenprodukt wie Nivea bekommen sie auch schlecht verpackt verkauft.“

Wasserflaschen als Klassiker der nicht altersgerecht verpackten Produkte

In anderen Bereichen sind die Probleme vielfach noch größer, beispielsweise bei Getränkeflaschen, und hier insbesondere bei ganz normalen Wasserflaschen: Dadurch, dass diese mit einem Siegelring gesichert und als ungeöffnet gekennzeichnet werden, sei das Öffnen derartig schwer, dass viele alte Menschen daran scheiterten. „In der Altenpflege müssen Pflegekräfte das Öffnen der Wasserflaschen übernehmen! Andere Glasflaschen haben einen Metalldrehverschluss, der ebenso schwer zu öffnen ist. Es gibt Alternativen, die werden dann aber aus Kostengründen abgelehnt – selbst in den geriatrischen Fachabteilungen großer Krankenhäuser“, beschreibt Meyer-Hentschel einen Status, den er selbst als „eigentlich unglaublich“ kommentiert.

Die Lösung hierfür kommt aus Schweden. Der Hersteller Maxi Crown Sealing Machines AB hat einen Verschluss entwickelt, der den üblichen Kronkorken ersetzt und sich ohne Flaschenöffner mit geringem Kraftaufwand durch Ziehen an einer Lasche öffnen lässt. Die französische Brauerei Kronenbourg verwendet ihn für ihr Trendgetränk Tourtel Twist.

Missliches Signal an ältere Menschen

In Deutschland hingegen bleiben Themen wie diese noch unterbelichtet. Und das trotz der in ganz Europa ausgeprägten demografischen Entwicklung hin zu einer immer älteren Gesellschaft: Betrug der Anteil von Menschen im Alter über 65 Jahren zum 1. Januar 2017 noch 19,4 Prozent, so wird dieser nach Schätzungen von Eurostat im Jahr 2030 auf 23,9 Prozent und im Jahr 2040 auf 27 Prozent wachsen.

Doch schwer zu öffnende Verpackungen bleiben Alltag: Tabletten, Kaffee, Käse – Meyer-Hentschel könnte immer weiter Beispiele konsumentenunfreundlicher Verpackungen aufzählen. Diese seien insbesondere für alte Menschen misslich, signalisierten sie ihnen doch: „Du kannst das nicht mehr. Du brauchst Hilfe.“ Das sei ein schlimmes Signal, zumal es ja durchaus auch anders gehe: „Ich kann die Umwelt entsprechend gestalten, ich kann diese Dinge ändern. Ich muss es nur wollen!“

 

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