„Streben nach Perfektion ist schädlich“

In Sachen Nachhaltigkeit gibt es im B2B-Bereich und der Logistik große Optimierungsmöglichkeiten. Welche das sind und wie mangelnde Daten und Fehlertoleranz die praktische Umsetzung behindern, erläutert Lukas Lehmann vom Fraunhofer IML in Dortmund im Interview.

Was hat sich in den letzten Jahren verändert?

Lukas Lehmann: Wenn man die letzten zehn Jahre betrachtet, dann ist es die voranschreitende Digitalisierung, die wachsende Bedeutung von Daten und die Zunahme des Sammelns von Daten entlang der logistischen Kette – Stammdaten von Verpackungen und Produkten sowie Transportdaten.

Und in jüngerer Zeit?

Wir erhalten immer häufiger Anfragen zu nachhaltigen Verpackungslösungen und nachhaltigen Verpackungsstrategien. Es geht da nicht mehr um Substitution einer Kunststoffverpackung durch Wellpappe oder Papier. Verpackungslogistik nachhaltig zu betreiben, ist viel, viel mehr, als nur auf das Material zu schauen. Da gibt es eine Veränderung im Markt.

Wie stellt sich dies im Bereich der Verpackungs- und Handelslogistik dar?

Im B2B-Bereich müssen Belange entlang der gesamten logistischen Kette beachtet werden. Es kommt nicht nur darauf an, wie ich meine Produkte optimal in die Produktverpackung verpacke. Ich muss auch die nachgelagerten Prozesse beachten. Die Grundvoraussetzung sind Stammdaten. Von den Artikeln, die verpackt werden, benötigen wir Länge, Breite, Höhe und Gewicht, aber auch weitere Eigenschaften, wenn diese relevant sind, wie: Ist das Produkt zerbrechlich? Hat es bestimmte Oberflächeneigenschaften? Das Gleiche gilt für die Umkartons und Kartonagen.

Eigentlich das Einmaleins der Verpackungslogistik?

Ja, das ist das kleine Einmaleins der Verpackungslogistik! Ohne Daten kann man nichts optimieren! Aber häufig hakt es genau daran, dass diese Daten nicht vorliegen! Insbesondere bei kleineren Unternehmen. Bei Mittelständlern ist es oft so, dass die Lagerbestände historisch gewachsen, also ständig neue Produkte hinzugekommen sind. Schon haben Sie das Defizit, dass nicht von allen Artikeln die erforderlichen Daten bekannt sind.

Und dieses Erbe hindert Sie daran, nachhaltige Verpackungslösungen zu entwickeln?

Das ist ein Thema, das wir häufig mit Kunden angehen. Ja, wir können ausrechnen, wie sie volumenoptimiert packen, wie ihr Kartonset aussehen soll, aber als ersten Schritt müssen wir uns überlegen: Wie erheben wir diese Stammdaten? Hier gibt es viele innovative Lösungen, unter anderem die Kameratechnik, die mittlerweile sehr gut entsprechende Packstückabmessungen beziehungsweise Packstückvolumen bestimmen kann.

Wie trägt Forschung zur Nachhaltigkeit bei?

Durch innovative Softwarelösungen zum Beispiel zur Optimierung des Volumennutzungsgrades und durch die Digitalisierung papiergebundener Prozesse, wie des Lieferscheins. Und damit einer Beschleunigung des Informationsflusses, der Vermeidung von Medienbrüchen und der Verringerung des Papiereinsatzes. Insbesondere aber auch durch die Schaffung von Transparenz entlang der Prozesse. Jeder, der bei Amazon oder Otto bestellt, kennt das: Im Paketversand ist die Nachverfolgung und die Transparenz entlang der Lieferkette perfekt. Im B2B-Bereich fehlt sie.

Welche Vorteile ergeben sich durch Transparenz?

Ich erhalte Kennzahlen über Durchlaufgeschwindigkeiten und Umschlaghäufigkeiten und kenne meine Bestände, zum Beispiel an Mehrwegladungsträgern wie Paletten und Behältern. Ich kann die vorhandenen Ressourcen effizienter nutzen.

Die technischen Mittel sind da, sie müssten doch nur in eine andere Logistikwelt transferiert werden.

Es wurden sich bislang kaum Gedanken darüber gemacht. Vor dem Hintergrund der gewünschten Nachhaltigkeit ist das ein immer größeres Problem!

Das Wissen ist vorhanden, aber es kommt in der Praxis nicht an! Woran hakt es?

Wir streben immer danach, eine 100-Prozent-Lösung zu haben! Aber häufig kommen wir mit 80 Prozent schon sehr weit und ermöglichen sehr viel. Die letzten 20 Prozent benötigen einen enormen zusätzlichen Aufwand! Ich glaube, da können wir noch sehr viel lernen: sich darauf zu fokussieren, was schon geht, und damit anzufangen!

Welche Rolle spielt agiles Arbeiten?

Der größte Erfolgsfaktor liegt vielleicht darin, etwas einfach mal auszuprobieren! Am IML arbeiten wir in größeren Entwicklungsprojekten nur noch agil! Trial and Error – man lernt aus den kurzen Entwicklungszyklen und versucht zu optimieren. Ein anderer wichtiger Punkt ist, immer einen Anwendungsbezug zu haben! Es ist absolut wichtig, sehr schnell und sehr nah an die tatsächliche Anwendung zu kommen! Wir holen uns immer Industriepartner in die Projekte hinein oder binden sie ein, sobald es das Projekt zulässt. Und: Beide Parteien müssen sich die Möglichkeit des „Scheiterns“ einräumen. Scheitern in kleinen Entwicklungszyklen. Dinge ausprobieren, die dann vielleicht nicht zum Ziel führen. Und einräumen, dass man zwei Schritte zurückgeht, um dann drei nach vorne zu machen. Dafür bedarf es eines Industriepartners, der „Fehlern“ tolerant gegenübersteht. Aber man muss sich auch selbst erlauben, Fehler machen zu können. Es muss in Ordnung sein, eine 80-Prozent-Lösung zu haben, diese zu testen und daraus die größten Erkenntnisse herauszuziehen. Dazu muss ein gewisses Erwartungsmanagement betrieben werden und eine gewisse Informationstransparenz gewährleistet sein: Wichtig ist, solche Informationen in enger Zusammenarbeit miteinander zu teilen und den Weg gemeinsam zu gehen.

von Wolfgang Borgfeld

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