Selbstverständlich wie ein Telefonanruf

Augmented Reality war bislang eher für den Handel ein Thema.  Mittlerweile wird virtuelle Realität aber auch in der Verpackungsbranche eingesetzt – vor allem im Service und zunehmend auch im Engineering.

von Wolfgang Borgfeld

Immer häufiger unterstützt Augmented Reality (AR) die Mechaniker, Bediener und Instandhalter an den Maschinen bei ihrer Arbeit. Etwa wenn es darum geht, eine Maschine neu einzustellen. Der Mitarbeiter trägt eine Brille, über die Formateinstellwerte in sein Blickfeld gespiegelt werden. „Dadurch braucht man keine Bücher mehr, aus denen zig Werte herausgesucht werden müssen. Das ist wirklich von großem Nutzen“, sagt Michael Wratschko, Customer Service Group Leader bei Optima Nonwovens. AR werde daher vor allem als Unterstützung bei Service und Instandhaltung in Netzwerken großer Hersteller mit vielen Anwendern angewendet. Das beobachten die Experten beim Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV) in Dresden. Derartige Lösungen seien überall dort sinnvoll, wo Mitarbeiter des Anwenders alleine an der Verpackungsmaschine arbeiten. Was schon im Alltag hilfreich ist, wird beim Auftreten von Problemen umso wertvoller: Fällt eine Komponente aus, beispielsweise der Elektromotor, können Techniker und Ingenieure des Herstellers sehen, was die Mitarbeiter vor Ort sehen. Letztere können dann über die AR-Brille Informationen erhalten und diese auch sogleich umsetzen, da sie ja die Hände frei haben.

Offene Kommunikation führt zum Erfolg

Die Technik gibt es schon lange, in der Praxis kommt sie aber erst in den letzten Jahren vermehrt zum Einsatz. Bevor ein Hersteller von Verpackungsmaschinen über einen möglichen Einsatz von AR nachdenkt, müsse er sich die Frage stellen, wo die Technologie konkret helfen könne. „Das sind Werkzeuge. Man muss wissen, zu welchem Zweck sie eingesetzt werden sollen. Der Dienstleister, der eine Augmented-Reality-Lösung konzipieren soll, kann das schlecht einschätzen. Deshalb ist es wichtig, dass alle Beteiligten offen über Probleme in der Produktion oder der Maschinenwartung sprechen“, umreißt Lukas Oehm, Gruppenleiter Digitalisierung und Assistenzsysteme am Fraunhofer IVV, die Voraussetzungen für eine sachgerechte AR-Anwendung. Viel zu oft werde zu allgemein gefragt. Dann müssten Dienstleister nachfragen, wo genau das eigentliche Problem liege. Muss der Techniker vor Ort die Hände frei haben? Oder geht es nur darum, sich mit visueller Unterstützung auszutauschen, was ja auch mit Skype und Tablet möglich sei.

Dann, so ergänzt IVV-Kollege Sebastian Carsch, bestehe die große Herausforderung darin, die eigenen Maschinendaten aufzubereiten und einzupflegen, alle Schnittstellen genau zu betrachten, das Personal in die Prozesse einzubinden und den Mehrwert der Lösung herauszustellen. Das sei sehr zeit- und damit auch kostenintensiv. Bei Bobst Meerbusch wurde die Technik in den letzten zwei Jahren weltweit mit ausgewählten Kunden auf die Praxistauglichkeit getestet. In Deutschland wird sie der Lieferant von Anlagen und Services für die Substratverarbeitung in den kommenden Wochen bereitstellen. Die Erfahrungen zeigten, dass der neue Service nicht nur für den Kunden, sondern auch für den Hersteller eine Umstellung bedeute, berichtet Manfred Bauer, Product Specialist Connected Services: „Der Experte sitzt quasi direkt vor der Maschine. Er braucht nicht nur technisches Wissen, sondern auch eine klare Sicht auf die Bedienung komplexer Verpackungslinien.“ Und Teamfähigkeit, denn Remote-Experte und Operator vor Ort müssen gut miteinander harmonieren.

Andere Kultur, anderes Prozessverständnis

Dieser Aspekt ist nicht zuletzt im internationalen Kontext zu beachten. In der Praxis zeige sich, dass für eine erfolgreiche Unterstützung bei Service und Bedienung technische Hilfsmittel alleine nicht ausreichen, wird beim Fraunhofer IVV betont. Außerhalb Europas bestehe oft ein anderes Prozessverständnis, und das müsse beim Einsatz von Augmented Reality berücksichtigt werden. Doch auch die Technik hat ihre Tücken. Im Prinzip gebe es keine Endgeräte von der Stange, die industrietauglich
sind. Das fange bei der Software an und höre bei den Brillen auf, heißt es unisono. Selbst wenn die Frage, „Welche Art von Informationen muss wie angezeigt werden?“ bedarfsgerecht gelöst ist, empfinden Operatoren an der Maschine das Einblenden von Grafiken in die Brille als gewöhnungsbedürftig. „Wer es aber schon mal probiert hat, der nimmt das ‚neue Tool‘ an“, macht Bobst-Experte Bauer Anwendern Mut.

Allerdings bleiben die Brillen nicht nur wegen des eingeschränkten Sichtfelds problematisch: Die Ergonomie sei nicht optimal. „Man kann damit eine Stunde gut arbeiten, dann wird es schwierig vom Gewicht her und von der verfügbaren Akkulaufzeit“, so Michael Wratschko von Optima. Zwar gebe es gute, weil leichte Lösungen aus der Consumer-Industrie. Diese seien aber für die geforderte industrielle Anwendung zur Zeit noch nicht geeignet.

Datenübertragung als wichtigster Hemmschuh

Ein anderes schwieriges Thema ist die Bandbreite zur Datenübertragung. In Europa und Nordamerika sei sie weitgehend stabil und erlaube die geforderte Datenübertragungsrate. In Asien schwanke sie jedoch zwischen super und problematisch, lautet die Erfahrung bei Optima. „Aber selbst in Deutschland haben wir noch Werke mit schlechter Anbindung“, so Wratschko. Umso wichtiger ist die Zusammenarbeit mit der kundeneigenen IT. „Die Datenbrille benötigt eine gute Netzwerkverbindung vor Ort in der Werkshalle. Hier kommt es darauf an, dass die IT entsprechende Services für die Bedienung der Brille in der Nähe der Maschinen bereitstellt“, unterstreicht Manfred Bauer. Doch der Konnektivitätsexperte ist überzeugt, dass Augmented Reality schon bald so selbstverständlich sein wird wie ein Telefonanruf beim Service. Insbesondere dann, „wenn mehr standardisierte Endgeräte, wie Datenbrillen, Tablets et cetera zur Verfügung stehen, die industriell und so hoffentlich standardisiert eingesetzt werden können“.

Was mit Augmented Reality an installierten Maschinen möglich ist, kann mit Virtual Reality bereits an konzipierten Anlagen erfolgen: Training und Schulung. So können Maschinen über vorhandene CAD-Daten vollständig virtualisiert werden. Auf dieser Basis hinterlegen VR-Designer alle Handgriffe für einen Wechsel der Formatteile. Dafür kommt eine allgemein verständliche Symbolik mit Pfeilen, Farben und Bewegungen zum Einsatz. Uhlmann Pac-Systeme hat beispielsweise ein derartiges virtuelles Trainingssystem als Pilotanwendung für den Formatwechsel an der Blisterlinie Bec 300 entwickelt. Im Digital Engineering wird die umfassende Darstellung von Maschinen oder ganzen Verpackungslinien ein immer wichtigeres Werkzeug. Mit diesem lasse sich, so die Einschätzung bei Bausch+Ströbel, der Entwicklungs- und
Konstruktionsprozess von Verpackungsmaschinen erheblich erleichtern. So bietet der Hersteller von Abfüll- und Verpackungsmaschinen für die pharmazeutische Industrie an, die zu fertigende Anlage virtuell in den Raum zu stellen, für den sie vorgesehen ist, sodass etwa Versorgungsleitungen optimal eingebunden werden können. Weiterhin ermöglichten Ergonomiestudien mit virtuellem Bedienpersonal zu prüfen, ob die Bediener später in angenehmer Haltung ihrer Arbeit nachgehen können oder ob mit Handschuheingriffen alle wichtigen Teile der Maschine erreicht werden.

In die gleiche Richtung zielt das Virtual Reality Center im Technologiezentrum Schwäbisch-Hall, das vom Verein Packaging Valley aufgebaut wurde und seit 2015 von Itek betreut wird. Dort können sich Maschinenbauer und -betreiber ein Bild davon machen, wie ihre neue Anlage in einer Halle aufgebaut werden kann, wie in einer bestehenden Anlage neu Komponenten integriert werden können und wie die Zugänge und Wege im Betrieb beschaffen sein müssen. Uwe Hertweck, Mechanical Design/Virtual Solutions Development bei Itek, beobachtet, dass im Pharma-, Lebensmittel- und Kosmetikbereich Anwender von Verpackungsmaschinen vermehrt VR-Darstellungen wünschen. Überall dort, wo es um Prozesssicherheit und Prozesskontrolle geht, könne VR helfen, zumal wenn Maschinen oder Komponenten in bestehende Infrastrukturen eingebaut werden müssen.