Das nonverbale Key Visual gewinnt an Bedeutung

Der Verpackungsdesigner Roman Klis, dessen Agentur Klis Design GmbH für bekannte Markenhersteller arbeitet, sprach auf der FACHPACK über die Zukunft von Marke und Design und das veränderte Verbraucherverhalten. Die Generation Z ist für Verpackungsbranche und Markenhersteller von enormer Bedeutung, erklärt Klis im Interview mit packaging-360.com. Sie benötigten nur einen einzigen Impuls, um sich für eine Marke zu interessieren. 

Welche neuen Herausforderungen kommen auf die Verpackungsbranche zu? Können Sie dies am Beispiel Snacks erklären?

Roman Klis: Die Branche muss die Generation Y (1980 – 1994) und Generation Z (1995 – 2010) berücksichtigen. Wir haben erstmals eine Generation, die sich nicht an dem Verhalten und an den Werten der Eltern orientiert, sondern eigene entwickelt und weltweit ähnlich agiert. Die Beobachtung dieser rasanten Veränderung ist so spannend wie ein Krimi, insbesondere da sich die Generationen X und die Baby Boomer auch an das Verhalten der Generationen Y und Z orientieren. Das ist ein historischer Wandel. Im Snacking-Bereich haben die Hersteller derzeit eine sehr große Chance, ihren Marktanteil am Point of Sale zu erhöhen. Sie müssen sie nur verstehen und nutzen.

Aber es gibt auf der anderen Seite auch den großen Wettbewerbsdruck!

Klis: Das stimmt. Die Markenhersteller müssen auch ohne große Werbekampagnen die Generation Z erreichen können, denn sie macht ein Drittel der Weltbevölkerung aus und besitzt 40 Prozent der Shoppingpower. Die Verpackungsdesigns müssen diesen Shoppern Impulse geben. Früher wurde das Verpackungsdesign für Konsumenten gemacht, die locker mehr als drei Informationen wahrnehmen können. In heutigen Einkaufssituationen, beispielsweise im Supermarkt, kann ein Shopper maximal 2 bis 3 Informationen aufnehmen und im digitalen Umfeld spitzt sich das Ganze zu, hier muss eine einzige Information auf der Verpackung ausreichen, um zu überzeugen.

Die junge Generation braucht nur einen Impuls, um eine Marke zu sichten, ist dann aber bereit, mehr Zeit für das Produkt zu investieren. Die Vorderseite einer Verpackung kann eine Information enthalten, die Rückseite kann für Storytelling genutzt werden. Ich lese zum Beispiel Geschichten, die auf meine Gefühle und individuellen Bedürfnisse eingehen. Die Marke zeigt damit Haltung, die der Konsument teilt.

Welche Verpackungstrends gibt es bei Snacks?

Klis: Man muss zunächst verstehen, welche kulturellen Megatrends das Verbraucherverhalten tiefgreifend beeinflussen. Es gibt aus unserer Sicht zehn globale Megatrends, von denen sechs wachsen: Climate Awareness, Health and Wellbeing, Sustainability, New Work, Knowledge Culture und Connectivity. Neben diesen Megatrends berücksichtigen wir ebenfalls segmentspezifische Verpackungstrends und die Entwicklung der Generationen Y und Z, um für die Marke und das Verpackungsdesign alle relevanten Einflussfaktoren miteinzubeziehen. Wenn wir uns explizite Snacking-Trends wie etwa Energie oder Bonding ansehen, können wir erkennen, dass ein Snack zum Beispiel in der veränderten Arbeitswelt Energie liefern soll – wenn ich etwa eine Mahlzeit ausfallen lasse, oder das Snacken löst ein Gemeinschaftsgefühl aus, wenn ich zum Beispiel eine Packung Süßigkeiten auf den Tisch stelle. Insgesamt kommen wir so auf fünf Snackingtrends: Neben Energie und Bonding wachsen Wellbeing, Indulgence und Moodshift ebenfalls am stärksten.

Warum gewinnt das nonverbale Key Visual als Designelement auf der Verpackung Ihrer Meinung besonders an Bedeutung?

Klis: Marken, die ein nonverbales Key Visual erfolgreich implementiert haben, haben nicht nur ihre Markenbekanntheit enorm gesteigert, sondern können ihre Produkte auch erfolgreicher in der physischen und in der digitalen Einkaufswelt vermarkten. Ein nonverbales Key Visual muss intuitiv verstanden werden. Es spiegelt die Markenessenz durch semiotische Decodierung wider. Dieses Element auf der Verpackung muss auf drei bis fünf Meter Entfernung sichtbar sein und für einen Impuls sorgen. Neben dem nonverbalen Key Visual gibt es noch fünf weitere Brand Properties, die für die Wiedererkennung der Marke wichtig und schützenswert sind. Dazu gehören Farbe und Form genauso wie die Marke, Sound und Textur. Bei der Snacking-Verpackung sind Farbe und Form enorm wichtig. Es ist eine Riesenherausforderung, eine Form zu entwickeln, die die Marke schützt und Trends bedient.

Was bedeutet das konkret?

Klis: Wenn ich Marken auch mit geschlossenen Augen erkennen kann, ist das top. Denken Sie an die bauchige Orangina-Flasche, die die Form einer Orange hat und die auch noch in der Glasbeschaffenheit haptisch die Orangenhaut fühlen lässt, oder an das Geräusch beim Öffnen des Nutella-Glases. Die Geräusche kann ein Verpackungsdesigner nicht kreieren, aber die Form. Die quadratische Ritter Sport Schokolade war im Prinzip die erste Snacking-Erfindung in Deutschland. Carla Ritter hatte die Idee, eine Schokolade zu entwickeln, die in die Jackett-Tasche passt. Damals war der To-go-Verzehr verpönt und so verschwand die quadratische Packung im Jackett.

Haben Sie ein Beispiel für ein Key Visual?

Klis: Die vegane Schokolade von Ritter Sport, für die wir das Design übernommen haben. Für unseren Designansatz haben wir das vorhandene „V“ aufgegriffen und es in ein nonverbales Key Visual übertragen, das das Konzept einer wohlschmeckenden veganen Schokolade widerspiegelt. Außerdem haben wir das Designkonzept emotional aufgeladen, um dem Drang der Millennials nach neuen aufregenden Geschmacks-Abenteuern entsprechend gerecht zu werden. Durch die direkte Verknüpfung des nonverbalen „V“-Elements über Zutaten und Farbcodes zu einer bestimmten Geschmacksrichtung wurde ein einzigartiges und wirkungsvolles veganes Schokoladensortiment im Regal geschaffen. Durch die Verwendung von Mattfolie als Verpackungsmaterial konnten weitere wichtige vegane Codes aufgegriffen werden. Kurzum: Das ‚V‘-Element stellt ein nonverbales Key Visual für die vegane Linie dar und spricht Millennials in einer physischen und digitalen Einkaufsumgebung an.

Die vegane Ritter Sport finden wir aber nicht im Aktions-Display im Handel, sondern eher versteckt im Regal. Da hilft das beste Design nichts, wenn das Produkt nicht gut platziert ist, oder?

Klis: Da gebe ich Ihnen Recht. Die Platzierung ist wichtig. Und es gibt Displays, die längst nicht mehr nur eine Ummantelung der Produkte darstellen. Bei den Displays gibt es die Trends zur Inszenierung. Eine Kuh aus Pappe, in der die Milka Tafeln präsentiert werden. Oder ein großes V für das Key Visual Vegan von Ritter Sport, um am Beispiel zu bleiben.

Sie sprechen vom Designtrend „be open, honest and transparent“. Was bedeutet dies?

Klis: Die Generation Z will authentische Produkte, die Verpackung ist nur ein Baustein. Marken, die wie der Safthersteller Innocent erklären, dass sie noch Lücken haben, erzielen mehr Glaubwürdigkeit. „50 Prozent unserer Verpackung ist recyceltes Material, 15 Prozent ist plant based und am Rest arbeiten wir noch.“ Wer Nachhaltigkeit verspricht, aber dies nur auf die Verpackung bezieht, erntet oft Kritik. Die GenZ straft Marken ab, die in ihren Augen nur den Profit im Blick haben, ist entschieden radikaler in ihrem Handeln und nutzt Social Media aktiv, um wahrgenommenen Ungerechtigkeiten eine öffentliche Stimme zu geben.

Apropos Social Media. Immer mehr präsentieren Handel und Markenhersteller ihre Produkte auf Instagram. Wie wichtig ist eine „insta-freundliche“ Designsprache?

Klis: Das ist extrem wichtig. Während die Verbraucher der GenY als digitale Pioniere bezeichnet werden, die in der analogen Welt aufgewachsen sind (Digital Immigrants), sind die GenZler wahrhafte Digital Natives, denen die modernen Technologien des Internets in die Wiege gelegt wurden. Beide Generationen leben einen bewussten Lebensstil und hinterfragen bestehende Strukturen – stets angetrieben vom Wunsch, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Um erfolgreich mit der Generation Z zu kommunizieren, müssen Marken frech, authentisch und nonkonformistisch handeln, einfache Botschaften vermitteln und konsequenterweise einen nachhaltigen und zweckbestimmten Markenansatz verfolgen.

Welche Bedeutung haben Etiketten – veredelte Oberflächen?

Klis: Auch sie haben noch eine hohe Relevanz, solange die genannten Trends berücksichtigt werden. Oft ist es so, dass bei Umfragen eine mattierte braune Etikette, die Nachhaltigkeit symbolisieren soll, sehr gut ankommt. In der konkreten Einkaufssituation wird man jedoch feststellen, dass die Käufer zum Produkt mit hoher Sichtbarkeit greifen werden. Dieses wird oft durch eine starke Farbigkeit, Veredelungen, wie zum Beispiel Heißfolie, und auch Lacke unterstützt.

Bleibt Nachhaltigkeit ein Trend?

Klis: Die ungeplanten, aber positiven Auswirkungen des Lockdowns auf unsere physische Umgebung sowie auf die Einstellung von Verbrauchern hinsichtlich einer Dekarbonisierung (CO2-Reduktion) und Depolymerisierung (Kunststoff-Reduktion) sind enorm. Die Menschen sehen plötzlich, wie Veränderungen im Konsumverhalten möglich sind, ohne grundlegend auf etwas verzichten zu müssen. Nachhaltigkeit, Globalisierung und Klimabewusstsein müssen sich deshalb mehr in Marketingaktivitäten, Produktangeboten sowie im Verpackungsdesign und der Brand Identity widerspiegeln. Covid-19 hat uns zudem gezeigt, dass die Menschheit angreifbarer ist als erwartet. So erfahren Produkte, die auf Gesundheit und Wohlbefinden einzahlen, aktuell mehr Marktpotenzial.

von Anna Ntemiris