Alle müssen ran, nur wenige trauen sich

Wo soll man anfangen, wenn es darum geht, die Kreislaufwirtschaft zu optimieren? Zu oft verweisen Verbraucher, Händler, Konsumgüterhersteller sowie Verpackungs- und Recyclingunternehmen noch auf den jeweils anderen. Dabei spüren alle den steigenden politischen und gesellschaftlichen Druck. Und jeder weiß: Es muss sich etwas tun – auch bei mir!

von Wolfgang Borgfeld

Rein gesetzlich betrachtet, sind die Vorgaben einfach: Das zuletzt im Juli 2017 geänderte Kreislaufwirtschaftsgesetz hat den Zweck, „die Kreislaufwirtschaft zur Schonung der natürlichen Ressourcen zu fördern“. Und auch die Richtung ist dabei klar vorgegeben: In Paragraf 7 heißt es, „die Verwertung von Abfällen hat Vorrang vor deren Beseitigung“. Bereits 2015 hatte die Europäische Kommission einen Aktionsplan mit 54 Maßnahmen vorgestellt, die unter anderem dazu beitragen sollten, den Übergang Europas zu einer Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen. Die Zielvorgabe hier: „Bis 2030 müssen alle Kunststoffverpackungen europaweit recyclingfähig gestaltet sein.“ Da das alleine offenbar noch nicht reichte, trat zum 1. Januar 2019 noch das Verpackungsgesetz in Kraft, das unter anderem neue Recyclingquoten enthält. Doch Papier ist und bleibt geduldig, vor allem, wenn es um Kunststoffe geht. Was bei Papier, Pappe, Glas, Aluminium und Blech recht gut läuft, klappt bei Plastik eher schlecht: Von den 5,2 Millionen Tonnen Kunststoffabfällen der Endverbraucher gingen hierzulande 2017 nur 810.000 Tonnen als recycelter Kunststoff in die Kunststoffverarbeitung. Das entspricht einem Anteil von mageren 5,6 Prozent, rechnet die Bundestagsfraktion der Grünen vor.

„Die Menge an eingesetzten Rezyklaten ist, verglichen mit neuem Kunststoff, peinlich gering“, urteilt Michael Wiener, CEO des Dualen System Deutschland, „die Branche braucht dringend ein Upscaling, also die Produktion im großindustriellen Maßstab, denn aktuell sind vor allem hochwertige Rezyklate teurer als Neuware.“

Konsumgüterindustrie ist gefordert, aber nicht alleine verantwortlich

Wo aber anfangen? Vielleicht beim Hersteller? Genau da wird die Verantwortung von vielen Politikern und Verbrauchern gerne verortet. „Wir müssen eine Kreislaufwirtschaft für Plastik schaffen, in der Kunststoff als Rezyklat wiederverwertet wird“, schreibt Thomas Müller-Kirschbaum, Co-Vorsitzender des Sustainability Councils von Henkel in einem Spotlight auf www.henkel.de. Das Unternehmen nutze möglichst viel recyceltes Material in seinen Verpackungen und stelle sicher, dass diese auch wieder recycelt werden können. Wo recyceltes Material verarbeitet werde, bestehe dies zu 99 Prozent aus Post-Consumer-Rezyklat, also aus Plastikabfällen aus dem Endverbraucherhaushalt. Die viel diskutierte Frage der Bedeutung von Plastikabfällen, die in der Produktion entstehen und dann wiederverwertet werden – sogenannte Post Industrial Rezyklate (PIR) – beantwortet Müller-Kirschbaum so: Der PIR-Anteil betrage bei Henkel-Rezyklaten weniger als ein Prozent. Dennoch leiste jeder Kunststoff, der wiederverwertet wird und nicht in die Umwelt gelangt oder verbrannt wird, einen Beitrag.

Auch viele andere Hersteller nehmen die Herausforderung an. So sind neben Henkel auch Reckitt Benckiser, Procter & Gamble, Heitmann sowie Hipp und Beiersdorf aktive Partner des Rezyklat-Forums der Drogeriemarktkette dm. Wie viele andere Anbieter auch, will Beiersdorf bis 2025 zu 100 Prozent auf recycelbare, kompostierbare oder wiederverwendbare Verpackungen setzen. Gleichzeitig sei geplant, den Rezyklatanteil der Plastikverpackungen von Beiersdorf in Europa auf 25 Prozent zu steigern. Aktuell werden bereits bei der Produktion von Nivea-Gesichtsreinigungsölen 25 Prozent recyceltes PET (rPET) in die Produktion der Flaschen integriert.

Schon einen großen Schritt weiter ist die Werner & Mertz GmbH. Der Inhaber der Marken Frosch und Erdal arbeitet bereits seit 2012 im Rahmen der vom geschäftsführenden Gesellschafter Reinhard Schneider gegründeten Rezyklat-Initiative an einer Optimierung des Stoffkreislaufs. Das sei nicht immer einfach,
erzählt Timothy Glaz, Leiter Corporate Affairs (Foto: Wener & Mertz GmbH). Einerseits sei der geschlossene Kreislauf bei Kunststoffen am schwierigsten herzustellen, nicht zuletzt auch, weil die Komplexität der verwendeten Materialien das Recycling so schwierig mache. Andererseits würden bestehende Prozesspfade nur ungern verlassen, viele Unternehmen der Kunststoffindustrie würden in Sachen Rezyklate nicht kooperieren.

Glaz vermisst auch heute oft das notwendige Engagement, denn das Know-how liege ja vor, wie Material hochwertig aufzubereiten wäre. Ergo: „Die Kunststoff herstellende Industrie könnte einen deutlicheren Beitrag leisten, problematische Stoffe zu eliminieren.“ Glaz verbindet das mit konkreten Forderungen an die Hersteller: „Wir benötigen mehr Informationen über die Recyclingfähigkeit der Packstoffe. Welche Zusatzstoffe bereiten Probleme bei der Wiederverwertung der Verpackung? Wenn man das weiß, dann kann man Alternativen entwickeln oder muss den Stoff eben weglassen.“ Experten, die einen geschlossene Materialkreislauf aus technischer Sicht für realisierbar halten, gibt es durchaus. Lebensmittelverpackungen seien nach ihrer Einschätzung heute schon hochgradig recyclingfähig. Materialien wie reines Polypropylen (PP) ließen sich bereits sortenrein aufbereiten und reinigen. Da es jedoch noch keine zertifizierten Recyclingprozesse für Lebensmittelverpackungen gebe, müssten zusätzlich die regulatorischen Vorgaben beachtet werden. Da hatte es Werner & Mertz leichter. Seine PET-Flaschen für Frosch-Reiniger sollten komplett aus altem Kunststoff, sogenanntem Post Consumer Recycling, gefertigt werden. Das Unternehmen musste zwar schnell feststellen, dass das Material für seine Zwecke deutlich zu dunkel geworden wäre, kam durch eine geänderte Vorgehensweise jedoch bald zum Ziel. „Heute produzieren wir mit 20 Prozent aus dem gelben Sack und mit 80 Prozent Material von retournierten PET-Pfandflaschen“, so Glaz. Ziel bleibe jedoch, PET zu 100 Prozent aus der Sammlung des Gelben Sacks herzustellen: „Vielleicht müssen wir in Kauf nehmen, dass das Material dabei etwas dunkler wird, das bleibt noch offen.“

Der Flaschenlieferant von Werner & Mertz sind die Alpla Werke Alwin Lehner im österreichischen Hard. Der weltweit mit fast 180 Werken tätige Konzern hat 2018 das Global Commitment der New Plastics Economy unterzeichnet und sich damit unter anderem verpflichtet, bis 2025 alle Verpackungslösungen
zu 100 Prozent recyclingfähig zu fertigen und den Anteil der verarbeiteten Post-Consumer-Recyclingmaterialien am gesamten Materialeinsatz auf 25 Prozent zu steigern. Für den Ausbau der Recyclingaktivitäten stehen nach Angaben des Unternehmens 50 Millionen Euro zur Verfügung.

Design als Schlüssel

Einer der Schlüssel zur Etablierung der Kreislaufwirtschaft liegt im Design. Zu viele Verpackungen, die einst optimiert wurden, um Lebensmittel ideal zu schützen, bestehen aus Verbundmaterialien, die kaum oder schwer recycelbar sind. Um das zu ändern, muss das Design von Verpackungen recyclingfreundlich
werden. Diesem Ziel hat sich auch das Rezyklat-Forum von dm verschrieben: Bereits im Entstehungsprozess neuer Verpackungen solle darauf geachtet werden, dass die Verpackungen recyclingfähig sind und Rezyklate vermehrt eingesetzt werden. dm-Geschäftsführer Sebastian Bayer hielt es vor gut einem Jahr – seinerzeit mit Verweis auf das Verpackungsgesetz – sogar für möglich, dass Rezyklatanteil und recyclinggerechtes Design künftig zur Voraussetzung für eine Produktlistung im Handel werden könnten.

Eine Mindestquote bei Rezyklatgehalten in Verpackungen hält Glaz für kontraproduktiv: Sie führten dazu, dass man sich nach unten orientiere, nicht nach oben. „Wir wollen einen Marktstandard auf den Weg bringen. Ziel ist die 100-prozentige Rezyklatnutzung“, betont Glaz. Bei dm wird dies ebenso gesehen: Es müsse immer das Ziel sein, den höchst möglichen Recyclinganteil in Verpackungen zu erreichen, sagt Bayer.

Verbraucher müssen durch gezielte Kampagnen besser aufgeklärt werden

Aber goutiert der Verbraucher diese Anstrengungen? Die Antwort von Beiersdorf lässt Raum für Interpretationen: „Für unsere Kunden stehen primär die Produktleistung und Verträglichkeit im Fokus, eine nachhaltige Verpackung ist zusätzlich gerne gesehen.“ Ähnlich die Beobachtungen bei dm: „Durch die aktuelle Klimadebatte haben auch die Themen Recycling und Abfallreduzierung eine starke Dynamik bekommen. Wir bemerken, dass unsere Kunden ein erhöhtes Interesse daran haben“, bleibt Bayer eher zurückhaltend. Das sieht bei Werner & Mertz anders aus: Frosch stehe für den Einsatz von Rezyklat und damit
für saubere Meere, habe aber auch geschäftlich Erfolg: „Der Konsument kauft unsere Produkte“, sieht Glaz eine direkte Verbindung zwischen Image und Umsatz. Die Geschäftszahlen scheinen die Aussage zu bestätigen, berichtet die WirtschaftsWoche im April 2019: Laut GfK habe der Marktanteil von Frosch zwischen
Mai 2016 und Mai 2018 um 14 Prozent zugelegt und der Umsatz um 21 Prozent. Der Erfolg komme nicht von ungefähr, so Glaz: „Schließlich haben wir viel investiert, auch in Kommunikation. Klappern gehört dazu, denn wir mussten einen erheblichen Aufwand betreiben, damit wir gehört werden.“ Also gilt es, Verbraucher aufzuklären und für das Thema Kreislaufwirtschaft zu sensibilisieren.

Zur hierfür gegründeten Gütegemeinschaft Rezyklate aus haushaltsnahen Wertstoffsammlungen gehören unter anderem Jokey, Produzent von starren Kunststoffverpackungen mit Deckel, der Hersteller von Kunststoffprodukten Pöppelmann sowie Werner & Mertz, die ihre Produkte nach dem neuen RAL-Gütezeichen zertifizieren lassen. Die bislang genannten Initiativen sind wichtig, aber angesichts der definierten Ziele längst nicht ausreichend, wie Wiener anmerkt: „Eine wachsende Zahl von Unternehmen interessiert sich für die Themen rund um Recyclingfähigkeit und Rezyklateinsatz – konkrete Projekte startet aber nur eine kleine Der Anteil der Kommunikation am Funktionieren der Kreislaufwirtschaft ist nicht zu unterschätzen. DSD-Chef Michael Wiener unterstreicht: „Die Qualität der Sammlung muss besser werden. Ab diesem Jahr sind mindestens 50 Prozent aller im Gelben Sack und der Gelben Tonne gesammelten Abfälle einem Recycling zuzuführen. Bisher bleiben aber im Bundesdurchschnitt 30 Prozent Sortierreste übrig, darunter viel Müll, der sich unmöglich verwerten lässt.“

Reinhard Schneider, Werner & MertzDer geschäftsführende Gesellschafter der Werner & Mertz GmbH, Reinhard Schneider, ist diesjähriger Preisträger des Deutschen Umweltpreises der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Reinhard Schneider wird einer der Top-Redner auf dem unabhängigen Verpackungskongress packaging 360° sein, der am 28. und 29. November 2019 im Hilton in Frankfurt am Main stattfindet. Mehr Informationen zu Programm und Anmeldung finden Sie hier.