„Rohstoff-Rezyklate aus Asien machen keinen Sinn“

Die Weltleitmesse BIOFACH setzte bereits im vergangenen Jahr verstärkt den Fokus auf das Thema Verpackung. Auch in diesem Jahr spielen dort umweltfreundliche Verpackungen eine bedeutende Rolle, die die Branche vom 12. bis 15. Februar in Nürnberg präsentiert. Im Vorfeld der BIOFACH erklärt Carolina Schweig, Expertin für nachhaltige Verpackungen, im Interview, dass sie einen Aktionismus in der Debatte um umweltfreundliche Produkte beobachtet. Sie  fordert als ersten Handlungsschritt mehr recyclingfähige Verpackungen und geschlossene Kreisläufe. 

von Anna Ntemiris

Unternehmen und Marken wie Frosch setzen bereits Rezyklate in Konsumgüterverpackungen wie Duschgel ein. In der Lebensmittelbranche ist die Angst von der Abwanderung des Altplastiks besonders ausgeprägt. Wie ist Ihre Haltung zu Altplastik für Lebensmittelverpackungen?

Carolina Schweig: Wir verfolgen die Marke Frosch und deren Rezyklat-Einsatz mit großer Freude und finden es super, dass der Hersteller Werner und Mertz seine Forschungen zur Verfügung stellt. Prinzipiell muss man eines Tages auch Rezyklate in Lebensmittelverpackungen einsetzen. Zunächst aber ist das ohne weiteres nicht unbedenklich. Es fehlen noch weitreichende Prüfungen, was die Zusammensetzung von Kunststoffen betrifft.

Es gibt 900 verschiedene Additive, die möglich sind. Wie reagiert welche Zusammensetzung? Nach welchen Stoffen muss man suchen? Da muss Forschungsarbeit geleistet werden, Prüfverfahren müssen entwickelt werden. Schadstoffdichte Barrieren, die recycelbar sind, muss man erst testen, bevor sie eingesetzt werden. Der ganze Prozess kann anderthalb bis zwei Jahre dauern. Daher sollte man in dieser Zeit parallel dazu Rezyklate in Niedrigrisiko-Verpackungen einsetzen und dafür sorgen, dass Kunststoffe recycelbarer werden. Auch sollte ein feinjustierter Markt für Rezyklate geschaffen werden. Eine Alternative wäre, mit chemischem Recycling die Verpackung in die Rohstoffe zu zerteilen. Am Up-Scaling dieser Technologie ist beispielsweise L’Oréal.

Was halten Sie von essbaren Verpackungen?

Schweig: Ich möchte nicht essen, was durch zehn verschiedene Hände gegangen ist und auf schmierigen Hochregallagern oder Förderketten lag. Bleiben wir bei dem Thema doch realistisch: Wofür sollen diese Verpackungen gut sein? Das ist doch noch abstruser, als die Sache mit der angeblichen biologisch abbaubaren Verpackung, die aktuell kein Entsorgungsweg haben möchte. Am Ende wird eine Verpackung geschaffen, die doch nur im Müll landet.

Die mitgebrachte Tupperdose darf aufgrund der Verkeimungsgefahr nicht über die Käsetheke gereicht werden. Bei der essbaren Verpackung wird das Thema Keime ausgeblendet. Das ist am Ende nur oberflächlich emotionaler Aktionismus. Man versucht, die böse Verpackung hoffähig zu machen, indem man sie für biologisch abbaubar oder essbar erklärt. Schauen wir doch lieber, ob wir Verpackungen minimieren, weniger einsetzen oder recycelbar machen. Und dann können wir auch Verpackungen aus nachwachsenden Rohstoffen sinnvoll ins Portfolio integrieren.

Wie wirkt sich eine neue Packmittelstrategie für ein Unternehmen auf die Kosten aus?

Schweig: Wenn man zunächst analysiert, was alles überflüssig ist, wo zum Beispiel durch Prozessoptimierung Kohlendioxid eingespart werden kann, dann wird Geld frei für Neuentwicklungen. Am teuersten wird es, wenn man keine Strategie hat, aber sich zum Beispiel etwas Biofolie leistet, um nachhaltiger zu werden. Grundsätzlich wird noch viel zu viel Verpackungsmaterial verwendet, dort könnte Geld und Umweltimpakt eingespart werden. So wird bei Lebensmitteln manchmal doppelt so viel Folie verbraucht wie nötig, weil man einfach die Verpackungsmaschine durchlaufen lässt, statt sie dem Produkt anzupassen. Das ist nicht nötig. Vergessen wir schließlich nicht, dass Packstoffe doppelt bezahlt werden: Beim Einkauf und beim Recycling.

Welchen Einfluss hat die aktuelle Diskussion rund um das Thema Plastik auf die Verpackungsindustrie und auch auf das -design im Bereich Bio-Produkte?

Schweig: Wir haben feststellen können, dass auch die Biobranche komplexe Kaschierverbunde mit Papier, Kleber und Siegelschicht wählt. Da wäre der Einsatz von Folie oft umweltfreundlicher. Keiner möchte den reinen Kunststoffbecher bei Molkereiprodukten, weil Plastik ja böse ist. Aber der Verbraucher baut den Joghurtbecher nicht auseinander, bevor er ihn in den Müll wirft, um ein Recycling zu ermöglichen. Ich stelle auch fest, dass Papier per se als gut bezeichnet wird. Ich bin kein Verfechter der Kunststoffindustrie, aber man sollte, wenn es wirklich um Klima und Umwelt geht, die Dinge differenziert betrachten.

Welche Trends gibt es in der Biobranche, was Verpackungen angeht?

Schweig: Der Einsatz von sogenannten Biokunststoffen, „Ocean Plastic“, „Social Plastic“ und Rezyklat ist ein Trend. Aber Rezyklate sind der zweite Schritt. Wir sollten erst einmal recyclingfähige Verpackungen haben, denn wir benötigen geschlossene Kreisläufe. Momentan werden Rohstoff-Rezyklate aus Asien nach Deutschland transportiert. Das macht doch keinen Sinn, es ist nur Aktionismus, der genau das Gegenteil schafft von dem, was wir wollen. Wir müssen aus unseren eigenen Kreisläufen Rezyklate gewinnen können.

Sie favorisieren Grasfaser als Material für Pappverpackungen? Warum?

Schweig: Derzeit kommen mehr als 40 Prozent unserer Zellstoffe von Eukalyptusbäumen aus Südamerika. Nachhaltiger wäre es, den Zellstoff etwa von Laubbäumen in Europa zu bekommen. Das kostet aber mehr. Gras ist günstiger und ein schnellwachsender Rohstoff. Gras aus Ausgleichsflächen, was nicht zum Füttern benutzt und abgemäht wird, kann man aufbereiten und mit Zellstoffen mischen. Durch die Füllung mit Gras wird das Rohpapier in seinen Eigenschaften besser, sodass mit geringeren Flächengewichten gearbeitet werden kann. Dadurch werden direkte Ressourcen gespart: Material, Gewicht, Treibhausgase, Energie und Abwasser. Durch den hohen Anteil von Grasabfall – bis zu 40 Prozent sind möglich – wird auch der Bedarf von Zellstoff liefernden Bäumen aus Plantagen verringert.

Werden sich Produkte wie Shampoo ohne Verpackung und Handseife langfristig durchsetzen?

Schweig: Ich weiß nicht, wie stark die Bewegung der Unverpackt-Läden ist, aber dieser Trend ist tendenziell sinnvoll. Handseife hat einen ökologischen Vorteil. Man spart sich, das Wasser durch die Gegend zu transportieren. 

Ihr Ingenieurbüro C.E. Schweig entwickelte für den Hamburger Tabakhersteller Santa Fe Natural Tobacco ein Papier, das in seinen wichtigen Eigenschaften denen der metallisierten Varianten entspricht. So verzichtet der Zigarettenhersteller auf den umweltbelastenden Einsatz des Aluminiums. Ist Ihnen der Inhalt egal, wenn Sie nachhaltigere Verpackungen entwickeln?

Schweig: Nein, der Inhalt ist auch relevant. Ich bin gegen das Rauchen, und wir hatten uns bei diesem Projekt im Vorfeld viele Gedanken gemacht. Wir würden das nicht für jeden Tabakkonzern machen. Ich fand die biologische Anbaumethode, das soziale Engagement und das ehrliche Auftreten des Unternehmens damals gut. Und unsere Innovation wurde von anderen Tabakmarken übernommen. Daher hat das Sinn ergeben. Ich habe viele Jahre als angestellte Verpackungsingenieurin in großen Unternehmen der Konsumgüterindustrie gearbeitet und mir manchmal die Sinnfrage gestellt. Heute können meine Mitarbeiter die Kunden beim Thema Nachhaltigkeit auch manchmal umstimmen, wenn wir sehen, dass ihre Wünsche ökologisch nicht sinnvoll sind. Diese Freiheit haben wir.

Carolina Schweig ist Dipl.-Ing. Verfahrenstechnik Papier- und Kunststoffverarbeitung mit mehr als 25 Jahren Erfahrung in der Verpackungsbranche. Ihre 1997 gegründete Verpackungsberatung C.E.Schweig arbeitet nach dem Prinzip: „Wir machen Nachhaltigkeit messbar und effizient“. In ihrer täglichen Arbeit, vor allem für Unternehmen der FMCG-Branche und der Medizintechnik, unterstützt und begleitet sie ihre Kunden bei der Entwicklung und Einführung neuer, nachhaltiger Verpackungslösungen. Im Dezember 2019 wurde Schweig in den Fachbeirat der Stiftung Warentest berufen. Neben ihrer Unterstützung als Fachbeirätin wird die Ingenieurin als Expertin für nachhaltige Verpackungen in Zukunft auch zu allgemeinen Verpackungsfragen aus den Bereichen Ernährung, Kosmetik und Gesundheit mit der Stiftung Warentest zusammenarbeiten. Durch ihre beruflichen Stationen, unter anderem bei Beiersdorf, Colgate Palmolive und Unilever in Europa und Übersee, kennt und schätzt Carolina Schweig den Facettenreichtum der Verpackungstechnik – zwischen Technik, Wirtschaft und Vermarktung.