An Mehrweg führt kein Weg vorbei

Handel, Gastronomie, Verpackungsindustrie, Verbraucher, Politik und Justiz: Das Thema Mehrweg beschäftigt derzeit viele Branchen und Behörden. Der Weg zu weniger Abfall ist zum Teil noch weit. Doch es geht voran.

Die Sprudelflasche geht zurück, das Warten vor dem Pfandautomaten gehört zur Alltagsroutine. Aber was ist, wenn nun auch das Konfitürenglas, die Kakaodose und die Kebabverpackung nach dem Verzehr wieder in den Handel gebracht werden können? Werden die Abfalleimer leerer? Ja, sagen die Befürworter neuer Mehrwegsysteme. Nein, rufen diejenigen, die lieber weiter auf Einweg setzen sowie diejenigen, denen das Verpackungsgesetz zu lasch ist. Fakt ist: Fast 350.000 Tonnen Müll fallen jährlich durch Einweg-Becher, Wegwerf-Geschirr und andere Verpackungen für To-Go-Produkte an. Der Handel befürwortet neue Mehrwegsysteme auch deshalb, weil die Verbraucher nachhaltiger einkaufen möchten, wie zahlreiche Studien belegen. Im Februar 2022 hat sich der Mehrwegverband Deutschland gegründet mit dem Ziel, Innovationen und Forschung im Mehrwegbereich zu fördern, Rückgabe- und Reinigungsinfrastrukturen und neue Standards zu entwickeln. Und die Klimaschutzoffensive des Handelsverbands (HDE) hat jüngst eigens einen Leitfaden für den Lebensmitteleinzelhandel herausgegeben, wie Einwegverpackungen vermieden können.

Ausnahmen bestätigen die Regel

Auch aufgrund rechtlicher Rahmenbedingungen gewinnt das Thema immer mehr an Bedeutung. Insbesondere in der Gastronomie. Seit Januar müssen zum Beispiel Restaurants, Bäckereien oder Kinos für das To-Go-Geschäft Mehrwegverpackungen als Alternative anbieten. Der Kunde muss dies aber nicht annehmen. Essen und Getränke in der Mehrwegverpackung dürfen dabei nicht teurer sein als in der Einwegverpackung. Allerdings kann der Gastronom Pfand für Mehrwegverpackungen anbieten. Zurücknehmen müssen die Letztvertreiber diejenigen Mehrwegverpackungen, die sie selbst in Verkehr gebracht haben – fremde Mehrwegverpackungen jedoch prinzipiell nicht.
Kleinere Unternehmen mit einer Verkaufsfläche von höchstens 80 Quadratmetern und bis zu fünf Mitarbeitern sind von der Mehrwegpflicht befreit. Weitere Ausnahmen: Speisen, die bereits im Vorfeld verpackt wurden – wie etwa Sandwiches – fallen nicht unter die Pflicht. Das Verpackungsgesetz nimmt zudem Einwegverpackungen aus reiner Pappe und Aluminium aus. So müssen Betriebe, die Papier, Pizzakartons oder Einweg-Aluminiumschalen verwenden, weder Mehrweg anbieten noch mitgebrachte Mehrwegbehältnisse befüllen.

Umfrage von Packaging360°

Viele Gastronomen und Handel haben anlässlich dieser neuen Rahmenbedingungen zum Jahreswechsel unterschiedliche Mehrwegsysteme eingeführt und sammeln derzeit noch Erfahrungen, wie eine Umfrage von Packaging 360° ergab. Tchibo hat ein eigenes Mehrwegsystem für Pfandbecher auf den Markt gebracht. „Die Nutzungsquote der Pfandbecher ist erwartungsgemäß noch gering, entspricht aber unseren Tests im Vorfeld – und steigert sich“, erklärt Sandra Coy, Sprecherin für Unternehmensverantwortung bei Tchibo. Tchibo, betont Coy, sei „seit vielen Jahren die größte Unverpackt-Kaffeekette in Deutschland“. Der Kunde kann für seinen Einkauf eigene Behälter oder Tassen mitbringen.

Seit Ende Dezember 2022 haben Gäste in allen deutschen McDonald’s Restaurants die Möglichkeit, Kalt- und Heißgetränke sowie Eis beim In-Haus- oder Außer-Haus-Verkauf in einer Mehrwegverpackung zu bestellen. „In unserer einjährigen Testphase von November 2021 bis Dezember 2022 haben wir bereits sehr positives Feedback von unseren Gästen zu unserem Mehrwegpfandsystem erhalten. Zum aktuellen Zeitpunkt pendelt sich die Nutzung der Mehrwegoption durch unsere Gäste auf einem vergleichsweise geringen Niveau ein. Wir konnten zudem feststellen, dass die Mehrwegnutzungszahlen je nach Standort unserer Restaurants sehr stark variieren“, teilt McDonald’s auf Anfrage mit.

Auch Burger King vermeldet eine noch niedrige Nutzungsrate im einstelligen Bereich, zeigt sich aber optimistisch, dass die Zahlen steigen. Burger King bietet seit Januar in allen 750 Filialen Mehrwegbecher von Recup für Heiß- und Kaltgetränke sowie für Eis und Shakes an. Die Becher können deutschlandweit an mehr als 20.000 Annahmestellen zurückgegeben werden. „Wir sehen, dass unsere Gäste die Mehrwegbecher gut annehmen“, so Daniel Polte, Manager Public Relations bei der Burger King Deutschland GmbH. Auch die Mitarbeitenden zeigten großes Interesse. „Sicherlich sind die Abläufe noch nicht ganz routiniert -das ist bei der Einführung eines Mehrwegsystems nur verständlich“, sagt Polte.
Seit Beginn des Jahres bietet die Restaurantkette Nordsee mit Relevo Mehrweglösungen in allen deutschen Filialen an. Das Ausleihen über das Smartphone des Nutzers, die pfandfreie Abwicklung sowie der automatisierte Nachbestellungsprozess erleichtere das Handling in den Filialen, erklärt Geschäftsführer Kai Bordel. „Im Rahmen des sogenannten Mak-Pak-Projektes entwickeln wir zudem gemeinsam mit dem Alfred-Wegener-Institut, der Hochschule Bremerhaven und anderen Partnern nachhaltig produzierte Verpackungslösungen: Ziel ist es hierbei, marine, spezifische Makroalgen-Rohstoffe zu nutzen“, so Bordel.

„Mehrweg ist das System, nicht die Verpackung“

Kritik an dem System und an der Umsetzung kommt von Umweltverbänden. Thomas Fischer, Bereichsleiter Krauslaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH), findet die Umsetzung des Mehrweggesetzes fehlerhaft. Dass Fast-Food-Läden von der Ausnahmeregelung profitieren, sei grotesk. „Das Gesetz läuft an dieser Stelle ins Leere“. Außerdem sei die Mehrwegpflicht von den Gastronomen noch zu leicht zu umgehen, indem Informationen zum Mehrwegangebot vorenthalten, praxisuntaugliche Insellösungen angeboten und keine Incentives zur Mehrwegnutzung gemacht werden. So können Unternehmen ihre rechtlichen Verpflichtungen erfüllen und sich gleichzeitig Mehrweg vom Hals halten. Die DUH habe stichprobenartige Kontrollen durchgeführt und dabei eklatante Verstöße festgestellt, die den Behörden gemeldet worden seien. „Wir gehen derzeit zudem mit Unterlassungserklärungen gegen diese Betriebe vor.“ Die DUH ist ein klageberechtigter Verbraucherschutzbund. Eigentlich sei es Sache der Ordnungsbehörden, die Einhaltung der Mehrwegpflicht zu kontrollieren. Bisher habe die DUH aber nicht den Eindruck, dass dies ausreichend stattfinde. Fischer betont: „Mehrweg ist das System, nicht die Verpackung“. Es sollte daher einheitliche Rückgabesysteme für Mehrwegbehälter geben. Um den Verpackungsmüll einzudämmen, müsste aus der Sicht der DUH eine Gebühr für Einwegbehälter „von mindestens 20 Cent, besser noch 50 Cent, erhoben werden, so wie dies in Tübingen bereits geschieht. Dann wäre Mehrweg eine echte Alternative. Das wird Wunder wirken“.

Das Gastgewerbe verweist derweil auf hohe Belastungen für die Betriebe. „Die neue Mehrwegangebotspflicht ist für die Betriebe mit erheblichem organisatorischem und logistischem Aufwand verbunden“, erklärte die Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel -und Gaststättenverbands (Dehoga), Ingrid Hartges. Einer, der gelassen auf die neue Mehrwegpflicht reagieren konnte, ist David Baumgartner, CEO der Dean & David Franchise GmbH. Denn die Stores bieten bereits seit 2007 Salate und Bowls in recyclebaren Mehrwegboxen an. Gegen ein Pfand von inzwischen 8 Euro gibt es die Behälter von Recup. „Als zusätzlichen Anreiz bekommen unsere Gäste damit sogar ein Add on for free. Bei seinerzeitiger Einführung haben uns viele für verrückt gehalten. Inzwischen wurde sie von vielen kopiert beziehungsweise zurecht vom Gesetzgeber als Standard gesetzt“, sagt Baumgartner.

Konsumgüterriese Nestlé hat in Zusammenarbeit mit dem Startup „Circolution“ und Unternehmen aus der Verpackungsbranche Mehrwegverpackungen aus Edelstahl entwickelt, die im Lebensmittelhandel eingesetzt werden. Wie bei Mehrwegflaschen zahlt man auf diese Verpackungen Pfand, gibt sie nach der Nutzung am Pfandautomat ab und bekommt Geld zurück. Mehrere Rewe-Märkte testen die Becher namens „Anita in Steel“ derzeit – zunächst mit Kakao der Marke „Nesquik“ von Nestlé sowie Kaffee der Frankfurter Kaffeerösterei „Hoppenworth & Ploch. „Unser System setzt auf Standardisierung und ist offen für alle Lebensmittelproduzenten – ob groß oder klein, ökologisch oder konventionell, Marke oder Eigenmarke. Das ist uns sehr wichtig, sonst macht Mehrweg keinen Sinn“, sagt Max Bannasch, Mitbegründer und CEO von Circolution. Circolution vermietet die Mehrwegbehälter gegen eine Packaging-as-a-Service-Gebühr an die Lebensmittelhersteller, kümmert sich um die Reinigung, Inspektion und Transport und stellt Daten für die Bemessung der ökologischen Auswirkung zur Verfügung.

von Anna Ntemiris

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