„Jeder macht sein eigenes Ding“

Mehr Kooperation, weniger Eigensinn: Dazu rät Sonja Bähr, Packaging-Analyst bei Tilisco GmbH Verpackungsmanagement, mit Blick auf das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen. Die Verpackungsexpertin erklärt, wann Pfand- und Mehrweg-Systeme einen positiven Beitrag leisten – und wann nicht.

Nach Plänen des Bundesumweltministeriums soll die Pfandpflicht in Deutschland ausgeweitet werden, auf alle bislang nicht bepfandeten Getränke in Einwegkunststoffflaschen und Dosen. Welche Probleme wirft das in der Praxis auf?

Die Pfandpflicht war bei ihrer Einführung vor 18 Jahren vor allem ein Versuch, die Mehrwegquote zu stützen. Dieser Versuch ist grandios gescheitert. Erfolgreich ist das Pfandsystem für Einwegflaschen aus PET heute vor allem deshalb, weil es einen Wertstoff sortenrein wieder verfügbar macht: nämlich jenes PET Material, das für Soft Drinks und Wasser eingesetzt wird und aus dem, auch aus lebensmittelrechtlicher Sicht, relativ einfach wieder eine PET Flasche für die gleichen Produkte gefertigt werden kann. Bei einer Ausweitung auf alle Verpackungen müssten Verpackungen für Saft und Milchgetränke in einem separaten Schritt aussortiert werden, da es sich hier meist um ein PET- Material handelt, das mit zusätzlichen Barrieren ausgestattet ist. Das wiederum beeinflusst den Recyclingprozess. Es handelt sich in der Regel um verschiedene Materialien, die bereits heute aus den „gelben Säcken“ aussortiert werden können, wenn es eine hochwertige Nachnutzung dafür gibt.

Wir fragen uns natürlich auch, warum gerade aktuell ein Smoothie-Hersteller ein so großes Interesse an einem Einwegpfand hat. Ein Grund könnte sein, dass mit der Bepfandung die Pflicht zur Lizenzierung bei einem Dualen System entfällt und gleichzeitig die Abfüller vom sogenannten Pfandschlupf profitieren, also von dem Pfandgeld, was vom Handel an die Abfüller zurückgezahlt wird, wenn die Behälter nicht zurückgegeben werden. Das sind jährlich immerhin etwa 180 Millionen Euro.

Mit der Novellierung des Verpackungsgesetzes sollen EU-Vorgaben in deutsches Recht umgesetzt werden. Dabei sollen ab 2025 neue PET-Flaschen zu mindestens 25 Prozent aus recyceltem Material bestehen, ab 2030 dann alle neuen Plastikflaschen zu 30 Prozent. Was steht dem entgegen?

Um die Vorgaben der EU-Einwegkunststoff-Richtlinie erreichen zu können, dürfen die Stoffkreisläufe nicht behindert werden. Sonst haben wir eben einen Mangel an verwendbarem Rezyklat. Ganz prinzipiell gibt es zudem weiterhin das Problem, dass es keine verbindliche Definition dafür gibt, was eigentlich alles unter den Begriff „Rezyklat“ fällt. Für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft ist es aber unabdingbar, verlässliche Qualitätsstandards zu haben.

Manche Hersteller werben inzwischen mit viel höheren Rezyklatanteilen und versichern, in ihren Kunststoffflaschen zu hundert Prozent rPET zu verwenden …

Bei der Rückgewinnung von PET funktioniert der Kreislauf „bottle-to-bottle“ nicht eins zu eins. Aus einer Einweg-PET-Flasche lässt sich nicht genau eine neue Flasche herstellen. Aus einer Einweg-PET-Flasche gewinnt man rund 75 Prozent rPET für eine neue Flasche. Das restliche Material muss dem Kreislauf zusätzlich entnommen werden, dadurch entsteht eine permanente Unterdeckung.

Den Image-Vorteil einer 100-Prozent-rPET-Flasche haben dann einige wenige, zum Nachteil aller anderen, die dann auch die geforderten 25 Prozent rPET nur schwer beziehen können. Wir müssen viel kooperativer denken, wenn wir Nachhaltigkeitsziele wirklich erreichen wollen.

Was halten Sie denn von Plänen, Plastiktüten und Pappbecher in der Gastronomie durch Mehrweg-Alternativen zu ersetzen?

Mehrweg ist gut. Aber nicht in jedem Fall. Das Recup-System ist ein sehr schönes Beispiel für ein standardisiertes Angebot, das von Gastronomen genutzt werden kann. Wenn sich aber jeder Gastronom selbst um eine eigene Lösung kümmern müsste, wie soll das funktionieren? Mehrweg ist nur dann ökologisch vorteilhaft, wenn die Gesamtbetrachtung stimmt. Das funktioniert in der Regel nur über standardisierte Behälter und Logistik: Alle nutzen die gleiche Verpackung und die Rücknahme, Reinigung und der Wiedereinsatz ist einfach und sicher möglich. Sich darum zu kümmern, ist aber ganz sicher nicht die Aufgabe eines Imbiss- oder Restaurantbetreibers.

Mehrweg wird dann absurd, wenn zum Beispiel das Mineralwasser am Quellort oder die mexikanische Biersorte in Lizenz in Belgien zuerst in eine markenindividuelle Mehrwegflasche abgefüllt und quer durch ganz Europa distribuiert wird, um dann leer wieder zurückgeschickt zu werden. Auch die Idee eines Bio-Supermarkts, dass Joghurtpfandgläser für viele andere Produkte zum Selberabfüllen wieder zum Einsatz kommen, wird durch die individuelle Form und das Reliefbranding einzelner Marken nicht unterstützt. Nachhaltigere Lösungen brauchen mehr Kooperation und weniger Selbstdarstellung.

Was könnte Ihrer Ansicht nach helfen, die Nachhaltigkeit zu fördern?

Kein Greenwashing, sondern Ehrlichkeit und Transparenz. Die Verbraucher müssen besser aufgeklärt werden. Statt reiner Werbeplattitüden, in denen sich ein Material auf Kosten eines anderen als das viel Bessere erklärt, wären leicht verständliche Entsorgungshinweise auf den Verpackungen sehr hilfreich. Die gibt es noch viel zu wenig und wenn, dann sind sie nicht einheitlich. Jeder macht sein eigenes Ding und versucht sich, teilweise auch mit täuschenden Aussagen, über das Thema Nachhaltigkeit zu profilieren. Das sorgt bei den Verbrauchern vor allem für Verwirrung. Wenn die aber genau wissen, in welche Tonne sie eine Verpackung werfen müssen und das ernst nehmen, dann ist auch für die Kreislaufwirtschaft viel gewonnen. Außerdem hilft, wenn wir die Prozesse ganzheitlich betrachten und im Sinne einer Kreislaufwirtschaft schon bei der technischen Gestaltung der Verpackung darauf achten, dass diese gut gesammelt, sortiert und auch wieder zu einem Wertstoff mit einem hochwertigen Wiedereinsatz recycelt werden kann.

Mehr Gemeinsinn, trotz wirtschaftlichem Wettbewerb?

Wichtige, gesellschaftliche Ziele wie das der Nachhaltigkeit erreichen wir nicht, wenn jeder versucht, den anderen auf die eine oder andere Weise zu überbieten. Wir müssen mehr Verständnis für die verschiedenen Aspekte schaffen, die bei Verpackungen wichtig sind. Wenn wir zum Beispiel einen Workshop bei einem Kunden machen, sitzen viele Abteilungen mit am Tisch. Der Einkauf schaut auf die Kosten, das Marketing auf die Abgrenzung zur Konkurrenz, der Vertrieb auf die Konditionen des Handels. Produktion und Logistik haben ebenfalls ihre eigene „Brille“. Alle sind auf die eine oder andere Art an der Umsetzung der Verpackungen beteiligt. Gemeinsam entwickeln wir eine Nachhaltigkeitsstrategie, die ein klares Anforderungsprofil zum Ergebnis hat. Damit übernimmt jeder Verantwortung und es entstehen tragfähige zukunftsorientierte Verpackungslösungen.