Verbrauchern fehlt oft der Durchblick

Papier oder Plastik? Diese Frage wird derzeit heiß diskutiert. In der Gunst der Verbraucher und Markenhersteller liegen Verpackungen aus Papier oder anderen nachhaltigen Rohstoffen weit vorne. Doch für Kunststoff gibt es ebenfalls gute Argumente.

von Karen Gellrich

Als am 18. August 2019 ein schweres Unwetter mit Orkanböen und heftigem Starkregen über den Landkreis Offenbach zog und abgeknickte Bäume und Strommasten, umgestürzte Zäune und mit Wasser vollgelaufene Keller hinterließ, gehörte auch der Verpackungshersteller Seufert im Rodgau zu den Opfern: Eine Fallböe hatte das Dach der Produktionshalle weggerissen. Für Geschäftsführer Thomas Pfaff und seine Mitarbeiter ein weiterer Schrecken. Denn auch im Tagesgeschäft hat er und mit ihm die gesamte Kunstoffbranche schon seit längerem mit heftigem Gegenwind zu kämpfen. Der Hersteller von Klarsichtverpackungen und Folien musste wohl auch wegen des derzeit weit verbreiteten „Plastic-Bashings“ schon 16 Prozent der Belegschaft entlassen.

Knapp eine Woche vor dem Gewittersturm hatte Bundesumweltministerin Svenja Schulze einen medialen Sturm entfacht und angekündigt, die Hersteller von Wegwerfartikeln an den Kosten für die Stadtreinigung beteiligen zu wollen. Damit wolle sie auf den „Trend zu mehr Wegwerfartikeln“ reagieren. Dieser führe in manchen Städten zu einer regelrechten Müllflut – vor allem in öffentlichen Parks und belebten Straßen. Die gesetzliche Grundlage solle bis spätestens 2022 geschaffen werden und auf der EU-Einweg-Kunststoffrichtlinie basieren. Wie hoch der Anteil von Einweg- oder Wegwerfartikeln in den öffentlichen Abfallbehältern, auf den Straßen und Parks ist, will der Verband der Kommunalen Unternehmen ermitteln. Verbandspräsident Michael Ebling sagte, nötig sei mehr Verursachungsgerechtigkeit. „Müssten sich die Hersteller an den Folgen ihrer umweltschädigenden Ex-und-Hopp-Geschäftsmodelle finanziell beteiligen, entstünden für alle Akteure neue Anreize für abfallarme Alternativen.“

Laut Umweltministerium verursacht jeder Einwohner in Deutschland pro Jahr 220 Kilogramm Verpackungsabfälle. Mehr als 50 Prozent fallen bei Industrie und Gewerbe an, rund 104 Kilogramm im haushaltsnahen Bereich. Verpackungen aus Papier, Pappe oder Karton haben dabei den größten Anteil mit etwa 8,1 Millionen Tonnen. Es folgen Verpackungen aus Kunststoffen (3,1 Millionen Tonnen), Glas (2,8 Millionen Tonnen) und Holz (3,2 Millionen Tonnen).

„Es wird nicht einmal hinterfragt, wie unsere Abfälle all die Jahre in die Weltmeere gelangen konnten, obwohl wir in unserem Land als Vorreiter einer vermeintlich funktionierenden Kreislaufwirtschaft gelten. Auch ist es offensichtlich nicht von Interesse, wo nach fast 30 Jahren DSD das ganze eingenommene Geld für den Grünen Punkt hingegangen ist. Warum nicht kontinuierlich in neue Technologien investiert wurde, anstatt – gegen jeden Umweltgedanken – unseren Müll zu exportieren“, ärgert sich Seufert-Geschäftsführer Thomas Pfaff. Deutschland habe kein Kunststoffverpackungsproblem, sondern ein noch nicht gänzlich gelöstes Recyclingproblem. „Beim geplanten Reduzieren des Kunststoffanteils erhöhen wir gleichzeitig den Anteil anderer Materialien im Verpackungsmüll.“ De facto würden die Abfallmengen also nicht geringer, sondern unterlägen lediglich einem Materialaustausch. Die nach wie vor sehr hohen Verpackungsmüllmengen blieben bestehen.

Papier profitiert von Kunststoff-Bashing

Der Trend weg vom Kunststoff hin zu Papier und anderen nachhaltigen Verpackungsmaterialien lässt sich nicht aufhalten. Die deutsche Papierindustrie hat 2018 nach Angaben des Verbandes Deutscher Papierfabriken (VDP) 22,7 Millionen Tonnen Papier, Karton und Pappe hergestellt. Der Umsatz der Branche stieg um 5,4 Prozent auf 15,5 Milliarden Euro. Mit einem Plus von 1,6 Prozent setzten Verpackungspapiere und -kartons ihren Wachstumskurs fort. Sie machen mittlerweile 53 Prozent des Produktionsvolumens aus. Demgegenüber stehen jedoch die weiterhin starken Zahlen der kunststoffverarbeitenden Industrie, deren Gesamtverband GKV für 2018 im Bereich Verpackung einen Anstieg um 3,2 Prozent auf 15,18 Milliarden Euro vermeldet.

Damit deutlich mehr wiederverwertet werden kann als heute, müssen die Markenindustrie und der Handel ihre Verpackungslösungen zügig so umstellen, dass ein Maximum davon vollständig recycelt werden kann. Viele FMCG-Riesen wollen das bis 2025 geschafft haben. Aldi Nord und Aldi Süd haben zudem vor, bei Verpackungen ihres Standardsortiments das Verhältnis des Materialgewichts zum Umsatz gegenüber 2015 um 30 Prozent zu senken. Hauptwettbewerber Lidl will bis 2025 den Kunststoffeinsatz um ein Fünftel reduzieren. Auch andere Händler treiben den Wandel zu mehr Nachhaltigkeit voran. Edeka feiert gerade zehn Jahre Kooperation mit dem World Wide Fund for Nature (WWF), Rewe testet den generellen Verzicht auf Folienverpackungen im Sortiment Bio-Obst und -Gemüse. Und dm-Drogeriemarkt lotet mit Top-Lieferanten aus, wie Verbraucher stärker für Themen wie Rezyklateinsatz und richtige Verpackungsentsorgung sensibilisiert werden können.

Die Mondi Group kann flexibel auf diese Anforderungen reagieren, da sie entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Verpackungs- und Papierherstellung tätig ist – von der Bewirtschaftung von Wäldern über die Produktion von Zellstoff, Papier und Kunststofffolien bis hin zur Entwicklung und Herstellung von effizienten Industrie- und Konsumgüterverpackungen. Peter Oswald, CEO von Mondi Consumer Packaging, kennt das Dilemma, in dem sich seine Kunden befinden: „Die Entscheidung für eine bestimmte Verpackungslösung ist angesichts der Komplexität der Lieferketten und der vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten des Begriffs der Nachhaltigkeit nicht immer offensichtlich.“

„Wann immer möglich aus Papier, wo sinnvoll aus Kunststoff“ – das ist der Leitsatz von Mondi, dem sich alle Maßnahmen bei der Verpackungsentwicklung unterordnen. Denn Papier hat einerseits den niedrigsten CO2-Fußabdruck aller Verpackungsarten, ist sehr gut wiederverwertbar und weist bereits heute in Europa Recyclingraten von über 80 Prozent auf. Andererseits spielt Kunststoff bei flexiblen Verpackungen eine entscheidende Rolle, um wertvolle Produkte wie Lebensmittel davor zu schützen, verfrüht im Abfall zu landen, indem die Haltbarkeit verlängert wird. Die CO2-Belastung bleibt dabei gering. Aufgrund seiner Barriere-Eigenschaften ist Kunststof in vielen Bereichen unverzichtbar und – wenn er recycelt wird – auch nachhaltig.

Design for Recycling ist das Gebot der Stunde

Schon im Planungsstadium ist es daher wichtig, die Verpackung in Richtung Wiederverwertbarkeit zu denken. „Design für Recycling“ lautet das Gebot der Stunde. Dafür müssen folgende Fragen geklärt werden: Was ist die Endanwendung und welche Barrieren sind erforderlich, um die Haltbarkeit des Produkts zu schützen oder zu verlängern? Wie sieht die Logistik aus und wie kann sichergestellt werden, dass das Produkt so effizient wie möglich verpackt wird? Wie sind die Lagerbedingungen? Welche Zertifizierungen und Beschaffungen sind nötig, damit Kunden über eine nachhaltige Verpackung verfügen? Welche Sortier- und Recyclinginfrastruktur gibt es in den Ländern, in denen die Produkte hergestellt und verkauft werden?

„Verpackungsinnovation ist wichtiger denn je“, sagt Thorsten Plutta, Geschäftsführer der PRO-S-PACK Arbeitsgemeinschaft für Serviceverpackungen e. V., der die aktuellen Entwicklungen durchaus kritisch sieht: „Nachhaltigkeit ist ein Lifestyle-Thema. Einerseits möchte der Verbraucher etwas Gutes tun, gleichzeitig sich aber auch die Lust am Konsum nicht verderben lassen.“ Diesen Trend machten sich die Marketingabteilungen nur allzu gerne zunutze, um ihre Produkte als „grün“ zu positionieren.
Dr. Kurt Stark, Director Business Development und Sustainability bei Buergofol in Ingolstadt, hofft derweil, dass das unberechtigt schlechte Image der Kunststoffverpackung nicht von Dauer ist.

„Aktuell ist der Verbraucher – bedingt durch die Diskussionen in Politik und Medien – der Meinung, dass etwa Papier besser als Plastik ist.“ Richtig sei zwar, dass mit Papier weniger Umweltverschmutzung einhergehe, weil es nach einiger Zeit verrottet. Der Kunststoff schneide aber in der Klimabilanz – also beim Energieverbrauch und beim Ausstoß von Kohlendioxid – viel besser ab. „Die Produktion eines Kilos RindfleiscH verursacht circa 13 Kilogramm CO2-Ausstoß, während dieser bei der Verpackung nur 200 Gramm beträgt, was weniger als ein Sechzigstel ist.“ Verdirbt das Fleisch aufgrund unzureichender Verpackung, hat man einen großen ökologischen Schaden angerichtet. Es gebe kein Besser und Schlechter, man müsse immer beide Seiten der Medaille betrachten. „Die Kunststoffverpackung wird weiterhin wachsen“, ist sich Stark sicher, sogar dann, wenn einige Lebensmittelhersteller ihre Maschinen auf Papier umrüsten würden. „Das ist jetzt gerade ein Hype! In zwei, drei Jahren wird man darüber kein Wort mehr verlieren und erkennen, dass es aus verschiedenen Gründen ohne Kunststoff einfach nicht geht.“

Barrierebeschichtete Papiere voll im Trend

Die Befürworter der Papierverpackungen setzen derweil auf leistungsfähige Barrierebeschichtungen, um besonders im feuchten Lebensmittelbereich eine Feuchtigkeitsbarriere herzustellen oder eine Gasmigration zu verhindern. Abhängig vom Einsatzgebiet des Produktes und von den funktionalen Anforderungen wird zur Schaffung einer solchen Barriere ein zusätzliches Substrat eingebracht, das fossilen oder biogenen Ursprungs sein kann. Solche Verbunde haben in der Regel einen prozentual sehr kleinen Beschichtungsanteil – oft ein Polymer – auf dem Karton und können recycelt werden. In Deutschland ist dieser Beschichtungsanteil nach Aussage des Fachverband Faltschachtel-Industrie (FFI) häufig unter 5 Prozent, womit diese Verpackungen über das Altpapier entsorgt werden können.

Eine Barrierebeschichtung kam für das neueste Produkt der Goerner Group indes nicht in Frage – und zwar auf ausdrücklichen Wunsch der Kunden, wie Geschäftsführerin Elisabeth Goerner erklärt. Zur FachPack präsentiert das Unternehmen aus Klagenfurt eine neuartige Verpackungslösung für fettende, trockene Lebensmittel wie Schokolade und Backwaren (Foto). Diese Verpackung basiert auf Zellstoff, Wasser und Farbe und hat den Anspruch, Single-Use-Plastics zu fast vergleichbaren Kosten durch faserbasierte Materialien zu ersetzen. „Wir haben in den vergangenen Jahren, auch oft schmerzhaft, lernen müssen, dass Nachhaltigkeit nicht teurer sein darf als das bisher eingesetzte Single-Use-Plastics, um als echte Alternative von der abpackenden Industrie angenommen zu werden“, beschreibt Goerner die Stolpersteine im Verlauf der Produktentwicklung. Sie war vor allem im Bereich Werkzeugbau und Farbrezepturen herausfordernd. Die Innovationsstärke wird im Unternehmenszweig Goerner Bionics gebündelt, dessen Produkte schon Marktreife erlangt haben: Zusammen mit Nestlé wurden in Klagenfurt zum Beispiel zwei Verpackungen entwickelt – jeweils eine Kombination aus Präsentations- und Transportverpackung. „Einmal ein reines Fasergussprodukt, einmal eine Kombination aus unseren beiden Herstellverfahren, der Faserguss- und der Faltschachtelproduktion“, berichtet Goerner.

Durch den öffentlichen Druck und die Einführung des Verpackungsgesetzes, das Inverkehrbringer zwingt, sich bei der zentralen Stelle Verpackungsregister registrieren zu lassen, setzt bei Händlern, Markenherstellern und der Verpackungsindustrie ein Umdenkprozess ein, der darauf abzielt, Verpackungen recyclingfreundlicher zu gestalten und den Einsatz von Rezyklaten zu erhöhen. Durch standardisierte Laborprozesse ist es möglich, die Recyclingfähigkeit unterschiedlicher Verpackungen vergleichbar zu machen und Verbesserungspotenziale aufzuzeigen.

Ein Beispiel ist die Methode PTS-RH 021/97 zur Bewertung der Rezyklierbarkeit papierbasierter Verpackungsmaterialien. Hier werden die Zerfaserbarkeit und das Störstoffpotenzial für eine weitere Verwendung zur Papierherstellung überprüft. Nach Ansicht von Dr. Tiemo Arndt, Leiter Forschung & Transfer an der Papiertechnischen Stiftung, geht der Trend zu Hybridkombinationen, wie sie bei Fleischverpackungen zum Einsatz kommen. Diese bestehen aus einem Papierträger, auf den eine laminierte Kunststofffolie aufgebracht ist, die sich leicht ablösen lässt. Das Recycling passiert getrennt über das Altpapier für den Papierbestandteil und über den Kunststoffkreislauf für die Folienkaschierung. In der Umsetzung erfordert dies aber eine intensive Aufklärung der Verbraucher. Auch Arndt hat bei den Herstellern einen Sinneswandel registriert: „Die öffentliche Diskussion über Littering, Verschmutzung der Weltmeere und Mikroplastik bringt die Markenartikler dazu, all ihre Produkte auf den Prüfstand zu stellen.“

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