„Ballungsräume als Rohstoffzentren der Zukunft“

Gunhard Keil aus Wien ist Unternehmer, Berater und Keynote-Speaker des Zukunftsinstituts. Auf der FACHPACK wird er im Breakfast-Talk den Eröffnungsvortrag im Forum PACKBOX mit dem Titel „Stucture follows strategy oder Customer follows packaging? Freche Gedanken zur Zukunft der Supply Chain“ halten. Im Interview mit packaging-360.com verrät Keil einige seiner frechen Gedanken.

Sie betreiben mit Ihrer Ehefrau einen großen forstwirtschaftlichen Betrieb in Österreich, haben Psychologie und Jura studiert und führen ein IT-Unternehmen mit Standorten in Deutschland, Österreich und Bulgarien. Wie ist Ihre Verbindung zur Verpackungsbranche?

Gunhard Keil: Ich habe 15 Jahre führende Unternehmen der Verpackungsindustrie in Europa begleitend beraten. Ich fungierte dabei als Prozessberater, der die Supply Chain und die Vertriebswege von außen beleuchtete. So habe ich tiefe Einblicke in die Branche und vor allem in die Transportwege erhalten.

Verraten Sie uns bitte doch schon mal einen ihrer frechen Gedanken zur Zukunft der Supply Chain.

Keil: Ich sehe die Ballungsräume als die Rohstoffzentren der Zukunft. Ob in New York, Peking oder Frankfurt: Das Material für Rezyklate findet sich dort, wo die größten Abfälle entstehen. Und dort sollten auch die Rezyklate produziert werden. Schließlich wird es dort auch wieder verbraucht. Es werden also statt konzentrierter Großanlagen mehrere mittelgroße Produktionsstätten für Rezyklate geschaffen werden. Ein bedeutender Teil an recyclingfähigem Material liegt in der Verpackung, und dieser Abfall wird hauptsächlich immer noch verbrannt. Das wird sich ändern müssen.

 Aber das Deutsche Verpackungsinstitut erklärt stellvertretend für die Branche, dass der ökologische Fußabdruck bei Lebensmitteln beispielsweise um das 16- bis 30-fache größer sei als der der Verpackung.

Das hängt davon ab, wo man die Messpunkte setzt. Wenn Lebensmittel sinnvoll recycelt werden, sieht es wieder anders aus. Vor allem bei voluminösen Transportverpackungen und bei flexiblen Produktverpackungen. Um so einen Wechsel in Gang zu bringen, braucht es entweder völlige Kostentransparenz oder Regularien. Meine Vermutung ist, dass zukünftig Strafsteuern für nicht recycelbares Verpackungsmaterial erhoben werden. Es wird mehr Regulierung geben, um die Decarbonisierung voranzutreiben. Ich bin kein Hellseher, aber das ist meine Meinung.

Welche Entwicklung sehen Sie noch in der Zukunft?

Keil: Bei der Logistik wird sich einiges ändern. Früher oder später wird der Güterverkehr zahlen müssen, was er an Infrastruktur verbraucht hat. Straßenschäden, die durch das Gewicht von Lastwagen entstanden sind, werden die Verursacher finanzieren müssen. Ein Schwerlastwagen verursacht 50 bis 60 mal so viele Schäden wie ein Durchschnitts-Pkw. Der Transport des Güterverkehrs wird also dann nicht nur durch höhere Treibstoffpreise teurer werden, sondern auch durch diesen Aufpreis.

Das zahlen dann also am Ende wieder alle.

Keil: Ja, es bleibt uns nichts anderes übrig, als die Realkosten auf einzelne Segmente aufzuschlagen. Die Logistik hat dabei einen großen Stellenwert. Aber man muss sich ja auch mal fragen, welche Verkehrsaufkommen wirklich nötig sind. Muss ich mein abgepacktes Wasser aus Frankreich beziehen, wenn das Leitungswasser – zumindest in Wien –  genau so gut ist? Es reicht die Aktivierung des gesunden Menschenverstands. Wer smarte, intelligente Produkte hat, hat im Übrigen bei dieser Debatte um Nachhaltigkeit und Produktionskosten die Nase vorne.

Nachhaltigkeit ist in der Verpackungsbranche ein ungebrochener Trend, wo gibt es in der Praxis Ihrer Ansicht nach noch Lücken?

Keil: Es könnte mehr wiederverwertbare Transportverpackungen geben. Auch wird es vielleicht in Zukunft Normgebinde für mehr Alltagsverpackungen geben. Dieser regulatorische Eingriff wäre der Nachhaltigkeit geschuldet.

Aus der Konsumentensicht: Die Menschen müssen mehr Geld für Grundnahrungsmittel und Energie ausgeben. Bleibt noch etwas übrig, um nachhaltige Verpackungen auszuwählen?

Keil: Es gibt keine Wahl, Verpackungen werden nachhaltiger, und die Preise steigen an. Wenn Ökologie einen kommerziellen Wert bekommt, dann werden die Verbraucher dies akzeptieren und akzeptieren müssen. Diejenigen, die das nicht freiwillig machen, müssen über Regulierung dazu gebracht werden. Eine Verpackung aus 100 Prozent recycelbarem Material hat einen kommerziellen Wert. Die Veränderung im Kaufverhalten hat ja schon begonnen. Kunststoff wird immer mehr vermieden.

Wie weit ist die Verpackungsindustrie beim Thema Digitalisierung?

Keil: Da gibt es himmelweite Unterschiede zwischen den einzelnen Unternehmen. Wer die Digitalisierung verpennt oder sich gar dagegen entscheidet, entscheidet sich für einen limitierten Markt.

Lieferketten-Engpässe und Material- sowie Rohwarenknappheit sind seit Monaten in den Schlagzeilen. Was raten Sie der Industrie?

Keil: In einer Krise haben Sie die größte Chance, Vertrauen zu gewinnen. Ich rate daher zu Transparenz, und die Kommunikation sollte auf langfristige Aussagen ausgelegt sein. Man muss sich nicht rechtfertigen, warum man derzeit nicht liefern kann, aber man kann es erklären. Wer Vertrauen aufbauen will, sollte ehrliche Zukunftsprognosen geben, statt zu jammern.

von Anna Ntemiris

Keil wird laut Messeprogramm auf der FACHPACK am 27. September, ab 10 Uhr in der PACKBOX, Halle 9, Stand 9-309, referieren.

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